Im Gepäck: Das Welttheater

Leander Haußmann wird im nächsten Jahr Intendant des Bochumer Schauspielhauses  ■ Von Petra Kohse

Überraschend kam sie ja schon, die Meldung, daß Leander Haußmann in der übernächsten Spielzeit die Intendanz des Schauspielhauses Bochum übernehmen wird. Nicht daß man – zumal hier in Berlin – am derzeitigen Leiter Frank- Patrick Steckel hängt. Auch an Haußmann nicht, dazu hat er hier noch zu wenig gemacht. Im Schiller Theater den „Clavigo“, dann „Don Carlos“, und nächste Woche kommt seine Salzburger „Antigone“ dort auf den Spielplan. Aber gerade in den letzten Monaten war er irgendwie selbstverständlich geworden, fiel doch seine „Don Carlos“-Premiere auch noch mit zwei Haußmann-Gastspielen im Rahmen des Theatertreffens zusammen. Hat man ihn da nicht ausreichend umjubelt? Und hat er nicht mehrfach in Interviews bekundet, er könne sich nicht vorstellen, in einer Stadt dauerhaft zu arbeiten, in der es eine Sperrstunde gäbe? Und ist das alles nicht ein bißchen überstürzt?

Nach Haußmanns Ansicht nicht. Regisseur ist er, Intendant zu werden fühlt er sich reif. Und seinen Vertrag mit dem Schiller Theater hatte der 34jährige schon gekündigt, bevor das Haus öffentlich zur Debatte gestellt wurde. An der unsicheren Zukunft hier kann's also nicht liegen, daß er seiner Geburtsstadt, die er nach der Schauspielschule Richtung Parchim und Weimar verließ und in die er als Regiestar wieder einzog, jetzt radikal den Rücken kehrt. Denn als Intendant will Haußmann seinem eigenen Haus treu bleiben. Auf Gastregien will er verzichten, und nachdem man sich auf das alljährliche Theatertreffen in Berlin auch nicht mehr verlassen kann, wird das Haußmann-Theater eben zukünftig vor allem in Bochum stattfinden. Haußmann-Theater, das heißt: raumgreifende Inszenierungen, psychologisch motivierte Exzesse in der Schauspielerarbeit, Rhythmus, Tempo, Komik, manchmal auch Albernes, zuweilen verschwommene Abgänge, kommentierende Collage-Elemente.

Auch wenn es ihn nach eigener Aussage in die sogenannte Provinz zieht, um sich auszuprobieren – dem Regisseur ist es nicht ganz egal, wo er arbeitet. So wird Bochum ab Herbst 1995 nicht mehr nur Bochum sein, sondern auf jeden Fall auch ein bißchen Weimar und ein bißchen Berlin. Schließlich nimmt Haußmann neben seinem bewährten Schauspieler- und Mitarbeiterstamm auch noch einige der an die Luft gesetzten bisherigen Schiller-Theater-Schauspieler mit. Sie seien enttäuscht und wünschten sich eine „familiäre Atmosphäre und Kontinuität in der Arbeit“. Das will er denen bieten, die er noch nicht beim Namen nennt. Das sei noch verfrüht, auch weil Bochum noch nichts davon weiß. Aber die Möglichkeit, hier ein bißchen „abzuschöpfen“, will sich Haußmann nicht entgehen lassen.

Überhaupt weiß Bochum bisher recht wenig über seinen zukünftigen Intendanten. Inszeniert hat Haußmann dort noch nicht, Gastspiele oder eigene Produktionen sind bislang auch nicht geplant. Es ist anzunehmen, daß die Kulturdezernentin Ute Canaris sich von Haußmann eine ähnlich stilbildende und maßstabsetzende Theaterära erhofft, wie sie mit Peter Zadek und Claus Peymann begründet wurde und in den Steckel-Jahren verlorenging. So hat sie im geeigneten Moment zugegriffen und einen überaus begehrten, nach eigenem Bekunden wegen der in der Metropole herrschenden Unkonzentriertheit „berlinfrustrierten“ Regisseur eingefangen. Im Gepäck hat der designierte Theaterleiter das Welttheater. Zumindest als Idee.

Er selbst will nur etwa zwei Inszenierungen pro Jahr erarbeiten und sich ansonsten um einen festen Stamm internationaler Regisseure und Regisseusen bemühen. Welche Stilrichtungen er zusammenbringen will, weiß Haußmann noch nicht, hat ja auch noch ein bißchen Zeit für die Suche. Gleich damit beginnen kann der Vielbeschäftigte aber auch nicht, denn momentan probt er im Hamburger Schauspielhaus „Troilus und Cressida“, danach inszeniert er in München die Uraufführung von Wolfgang Maria Bauers „In den Augen eines Fremden“, und zum Spielzeitende wird er in Wien bei dem von ihm sehr verehrten Burgherrn Claus Peymann einen Tschechow erarbeiten.

Nach einigen wenigen Jahren der Wanderschaft steht ab 1995 also bereits Kontinuität auf dem Programm. Eine ganz wichtige Erfahrung struktureller Natur hat Haußmann in Berlin allerdings gemacht: in Bochum würde er am liebsten eigenbetrieblich arbeiten.