Ein Schatz und viele Besitzer

■ Der Schatz des Priamos, der nie dem von Homer besungenen König gehörte, sondern 1.000 Jahre älter ist, gehört nach Rußland, nach Griechenland, in die Türkei, nach Deutschland

Lange wurde gemutmaßt, wo denn der seit Kriegsende verschollene „Schatz des Priamos“ geblieben sein könnte: Die einen vermuteten ihn in den USA, gestohlen von Kunstoffizieren oder profitsüchtigen GIs, andere behaupteten, die goldenen und silbernen Kostbarkeiten seien vergraben worden. Und immer wieder kamen Gerüchte auf, daß die Kostbarkeiten als milliardenschwere Kriegsbeute in die Sowjetunion gebracht worden seien. Allerdings fehlten für jede Theorie die Beweise.

Bekannt war, daß der Schatz während des Zweiten Weltkrieges aus seinem ursprünglichen Domizil im Gropius-Museum in den großen Flakbunker am Zoo gebracht wurde. Daß Gold und Bronze nach einem Bombenangriff noch im Februar 1945 die Treppen des Museums heruntergeflossen seien, erweist sich so von alleine als Legende. Im Flakbunker blieben die Funde jedenfalls bis Kriegsende, seitdem verlor sich jede Spur. Erst in den letzten Jahren verdichteten sich die Hinweise, daß der Fund von Troja in Moskau aufbewahrt wird – und seit einer Woche ist es offiziell: Der russische Kulturminister Jewgeni Sidorow sagte kürzlich in einem in der Wochenzeitung Literaturnaja Gaseta veröffentlichten Interview, er habe den Schatz des Priamos gesehen und das Puschkin-Museum in Moskau angewiesen, den Schatz auszustellen.

Mit dem offiziellen Eingeständnis der russischen Regierung ging der Ärger aber erst richtig los: Griechenland hatte gehofft, die trojanischen Kostbarkeiten in einer ersten Ausstellung in Athen präsentieren zu können, und hatte auch schon eine entsprechende Zusage vom russischen Präsidenten Boris Jelzin erhalten. Doch nach der Erklärung von Sidorow ist die Premiere der Schatzausstellung in Athen wohl hinfällig. Trotzdem will noch in diesem Monat eine griechische Delegation nach Moskau reisen, um die Erlaubnis doch noch erwirken zu können.

Nach Bekanntwerden der Äußerungen Sidorows sah aber auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre große Stunde gekommen. Mit Nachdruck fordert die Stiftung die Rückgabe des Schatzes an Berlin, da ihr das Eigentum am Schatz immer noch zustehe. Besonders regt man sich dort darüber auf, daß Rußland und Griechenland Gespräche über eine Ausstellung von Kunstschätzen führten, ohne den rechtmäßigen Eigentümer zu beteiligen. Das bezeichnete die Stiftung als einen in den internationalen Kulturbeziehungen bisher nicht dagewesenen Fall.

Doch auch die Türkei erhebt Anspruch auf den Schatz. Schließlich, so argumentiert die türkische Regierung, befinde sich der Fundort des Schatzes, die Ruinen Trojas, auf türkischem Gebiet. Rußland wird von den Türken vor möglichen negativen Folgen gewarnt, die Schätze gehörten der Türkei, da sie nach ihrem Fund 1873 illegal außer Landes gebracht worden seien.

Der Ursprung des Streits liegt nun schon eine Weile zurück. Um das Jahr 3000 vor Christus ging in der Stadt, die später als Troja II bekannt werden sollte, der Goldschatz verschütt. Im Jahre 1873 jubelte der mecklenburgische Unternehmer und Hobby-Ärchäologe Heinrich Schliemann. Doch nicht der Schatz des Priamos war es, was er fand. Bei der Datierung irrte er.

Der Trojanische Krieg fand nämlich um 1700 vor Christus statt; der Schmuck aber ist tausend Jahre älter. Dennoch sind die zahlreichen Funde aus Gold, Silber und Bronze – Diademe, Armbänder, Halsketten, Becher, Kannen und etliches mehr – seither als Schatz des von Homer besungenen Königs bekannt.

Schon mit der Entdeckung begannen die Heimlichkeiten: Schliemann, so steht es in den Erinnerungen seiner griechischen Ehefrau, ließ erst einmal vorzeitig zur Frühstückspause rufen, als er die ersten Goldstücke entdeckte. Er wollte, so heißt es weiter, „den Schatz vor der Habgier der Arbeiter in Sicherheit bringen“.

Unterstützt von der Ehefrau, brachte er die Stücke heimlich in sein Zelt und schließlich unrechtmäßig außer Landes. Schliemann ging nach Athen. Dort kam es 1874 auf Druck der türkischen Regierung zu einem Prozeß gegen den Forscher, in dem Schliemann zu einer Strafe von 10.000 Goldfranc verurteilt wurde. Schliemann überwies 50.000 Goldfranc und einige Funde aus Troja an das klagende Istanbuler Museum. Von da ab fühlte er sich als rechtmäßiger Besitzer des Schatzes, durfte sogar nach Troja zurückkehren und weitergraben.

Bis 1890 fand Schliemann dort insgesamt 17 weitere Schätze, von denen er nach eigenen Angaben zumindest einige illegal außer Landes schaffte. 1881 aber vermachte Schliemann den Schatz des Priamos dem deutschen Reich „zu ewigem Besitze und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt als Geschenk“. Und darüber gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auch keinen Streit mehr.

Völkerrechtlich scheint der Schatz des Priamos wirklich nach Berlin zu gehören. Der Besitzer der anderen, illegal außer Landes geschafften Kostbarkeiten ist dagegen noch alles andere als klar. Und wer das Zeug letztendlich bekommt, weiß keiner. Solange noch gestritten wird, bleibt jedenfalls alles in Rußland. Martin Böttcher