Tammas, der Chancer

■ Der Spieler als Streuner: James Kelmans Roman „Zocker“

Tammas schnieft und grient, sein bevorzugtes Ausdrucksmittel sind Zischlaute. „Nö, Mann, pfff, is schon in Ordnung.“ James Kelmans Roman heißt „Zocker“ (im Original: „A Chancer“), ist aber alles andere als ein Zockerroman, wenn man darunter eine fesselnde Geschichte mit Plot versteht, in der zwielichtige Typen um hohe Summen spielen und am Ende gewinnen oder verlieren. James Kelman verzichtet auf jede Spannungsdramaturgie, seine Figuren streunen durch den Roman, treffen einander zufällig und driften weiter. Sie haben einander wenig zu sagen, manchmal findet ein ganzes Gespräch in einem Schulterzucken statt. Der Protagonist Tammas ist Anfang 20 und wohnt in Glasgow bei seiner älteren Schwester zur Untermiete. Er geht Gelegenheitsjobs nach oder lebt von Sozialhilfe, borgt sich hier und da ein paar Pfund, um sie beim Hunderennen oder beim Kartenspiel in irgendwelchen schäbigen Casinos einzusetzen. Wettgewinne dramatisieren Tammas Leben ebensowenig wie Verluste. Wenn er blank ist, trifft er vielleicht einen Bekannten, der ihm etwas Geld für einen weiteren Tip beim Buchmacher pumpt. Ein höherer Gewinn ist in dem Roman kein Höhepunkt, im nächsten Absatz hat Tammas das Geld schon wieder verloren und nimmt ein paar Münzen aus der Stromgeldschale seiner Schwester oder versetzt einen Anzug beim Pfandleiher. Die Handlung des Romans ist redundant, eine Wiederholung immergleicher Szenen in Wettbüros und Kneipen. Spannung entsteht allein aus dem detailgenauen Feinstrich des Milieus, in dem Tammas und seine Freunde sich bewegen. James Kelman zeichnet das Psychogramm eines obsessiven Spielers, dessen Sozialverhalten bereits nach der Beliebigkeit des Spiels funktioniert. Im tristen Leben der Glasgower Unterschicht gibt es keine soziale Determiniertheit. Unscharf taucht am Rand die Phantasie vom Auswandern nach Neuseeland oder wenigstens vom festen Arbeitsplatz im Norden Schottlands auf. In einem Milieu mit solch geringen Aufstiegschancen ist auch das Glücksspiel nur eine Simulation von Mobilität. „Der Favorit stand jetzt bei 5/4, und das konnte gut oder schlecht sein, je nachdem. Aber es war nicht wichtig. Im Grunde war das alles nicht wichtig. Er hatte auf das Pferd gewettet und fertig, das Geld war im Kreislauf, und er konnte nichts machen, entweder das Pferd gewann oder es verlor.“

Tammas lernt eines Tages auf der Rennbahn Vi kennen, die mit ihrer kleinen Tochter lebt. Sie verbringen ein paar Tage miteinander, verlieren sich und begegnen sich wieder. Die schüchternen, klammen Liebesbemühungen sind für Tammas kaum mehr als ein vorübergehender Haltepunkt zwischen zwei Renntagen.

Kelmans Geschichte wirkt nicht erfunden, sondern wie aus Tonbandprotokollen zusammengesetzt, beharrlich setzt der Autor auf Authentizität. In seiner schnoddrigen Sprache jedoch bleibt er sehr präzis. Nichts in dem Roman läßt eine verklärende Spielermythologie entstehen, Kelman destruiert jede Glückserwartung, die mit dem Spiel verbunden sein könnte. Was bei Bukowski noch eine gewisse Gossenromantik verheißt, wird von Kelman auf die nackter Profanität heruntertransformiert. „Zocker“ zu schreiben sei Schwerstarbeit gewesen, läßt die Übersetzerin Christa Schuenke in einem Nachwort wissen und bekundet glaubhaft ihre Schwierigkeiten mit der Übersetzung. Dem Leser wird dieses Buch ebenfalls kein leichter Genuß sein. Der Roman verrät aber mehr über das obsessive Spiel als manche psychologische Studie. Harry Nutt

James Kelman: „Zocker“. Roman. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Europaverlag, 345 Seiten, 46 DM