Fulda ist nicht überall!

Hier war immer schon was los: Pest, Pogrome, Bischofsschändungen, Braunhemden. Eine Chronik  ■ Von Helmut Höge

Nach dem Nazi-Aufmarsch zu Ehren von Rudolf Heß am 14. August werden von der Landesregierung personelle Konsequenzen gefordert, weil die Polizei die rechte Demonstration nicht verhindert hat. Ralph Giordano forderte sogar den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Das hätte auch anderswo passieren können, wird gemahnt: „Fulda ist überall“, sagte der Chefredakteur des Hessischen Rundfunks. Nichts ist falscher als diese Behauptung. Warum konnten gerade auf dem Fuldaer Domplatz die Jungnazis unbehelligt demonstrieren, von Polizisten freundschaftlich begrüßt? Unser Autor ging der Frage vor Ort und in Archiven nach. Hier sein Bericht:

Die erste Erwähnung der Stadt fällt in eins mit der Gründung des Klosters Fulda durch den iroschottischen Mönch Bonifatius, dessen Gebeine noch heute in der Krypta des Doms aufgebahrt sind. Einige Jahrzehnte später, 772, beauftragte Karl der Große die Fuldaer Benediktinermönche mit der Christianisierung der von ihm besiegten Sachsen. Die „Fuldaer Sachsenmission“ wurde derart brutal durchgeführt, daß in den darauffolgenden dreißig Jahren die Sachsen immer wieder rebellierten. Unter der Führung des Westfalen Widukind bedrohten die Aufständischen 778 sogar das ihnen „besonders verhaßte Fulda“ selbst, den Hauptstützpunkt der fränkischen Reichsmission. Karl der Große reagierte auf diese neuerliche Insurrektion mit dem berühmt gewordenen „Blutgericht zu Verden“ (783). Sachsenführer Widukind wurde zwangsgetauft. Er soll vor Empfang seiner die Niederlage besiegelnden Taufe den Bann ausgestoßen haben: „O Fulda, verflucht sollst du und alle in deinen Mauern sein, bis zu dem Tag, da die christliche Schmach von uns genommen!“ Zunächst schien der Fluch folgenlos zu bleiben. Gut 1.000 Jahre – bis zu den napoleonischen Reformen – regierten die Fuldaer Äbte mit „Krummstab und Schwert“: je verwegener, desto erfolgreicher. „Das weitläufige und herrliche Barockviertel zeugt noch heute von der Pracht und Macht seiner Fürstbischöfe“ (Fuldaer Stadtführer). Es gibt aber einige Chronisten, die es als Folge des Widukindschen Fluchs ansehen, daß ausgerechnet in den Mauern des Fuldaer Klosters zwei Mönche ausgebildet wurden, die der katholischen Kirche später großen Schaden zufügten: Der eine hieß Bruder Johannes, er lebte acht Jahre unter dem Abt Hrabanus Maurus (822-842), dem Schöpfer des „teutschen Schulwesens“ im Fuldaer Kloster. „Bruder“ Johannes war die Tochter eines iroschottischen Mönches und einer Sächsin. Später ging sie nach Rom und wurde dortselbst nach dem Tode Leo IV. 855 zum Papst gewählt. Nur knapp zwei Jahre saß sie auf dem Heiligen Stuhl, aber als „Päpstin Johanna“ ging sie in die Legenden und katholischen Phantasien ein. Der andere Mönch war der von seinem Vater 1499 dem Fuldaer Kloster übergebene Ulrich von Hutten aus Oberhessen. Er kämpfte später als Humanist und Anhänger der Reformation publizistisch äußerst wirkungsvoll gegen den Papismus.

Einem unvoreingenommenen Betrachter der Chroniken fallen aber einige Vorfälle auf, die darauf hindeuten, daß die Widukindsche Beschwörung doch nicht ganz ohne Folgen blieb: Im Jahre 850 brach eine Hungersnot über Fulda herein (Eltern sollen ihre Kinder verzehrt haben); 927 äscherte ein Blitz die Stiftskirche ein – kurz zuvor waren die letzten Heiden christianisiert worden; 1014 plünderten die Truppen Kaiser Heinrich II. das Kloster, 1103 brannte die Pfarrkirche und ein Teil der Stadt ab; 1103 stürzte der südliche Flügel der Stiftskirche ein; 1145 ging ein großer Teil der Stadt in Flammen auf; 1148 blieb zwischen ein Uhr und sechs Uhr nachts zwischen Kämmerzell und Lüdermünd die Fulda aus – ein beklemmendes Zeichen: die sogenannte „Fuldaische Ebbe und Fluth“; im Jahre 1200 legte ein Brand fast die gesamte Stadt in Schutt und Asche, 1215 noch einmal; 1235 wurden in einem Pogrom 32 Juden erschlagen; 1285 brannte die Hauptkirche ab; 1330 kam es zu Bürgeraufständen gegen die Herrschaft des Fürstbischof-Abts Heinrich VI.; 1331 ließen die rebellierenden Bürger das Kloster in Flammen aufgehen, ihre Anführer wurden später hingerichtet; zwischen 1349 und 1364 starben etwa 3.000 Fuldaer an der Pest, in den Chroniken heißt es, daß mehr als 600 Juden erschlagen wurden, da man sie für die Seuche verantwortlich machte; 1385 kam es zu Bauernrevolten, die vom Abt Friedrich niedergeschlagen wurden; 1398 brannte die Hauptkirche zum dritten Mal ab, auch das Kloster wurde dabei in Mitleidenschaft gezogen, wobei die Bibliothek vernichtet wurde; 1438 erneuter Pestausbruch; 1523 predigte Thomas Müntzer in Fulda; es kommt zu Bauernaufständen; Fulda wird geplündert, das Kloster zerstört, Landgraf Philipp läßt 200 aufständische Bauern töten; 1530 wurden etliche Wiedertäufer hingerichtet; 1542 brach noch einmal die Pest in Fulda aus; 1546 wurde die Stadt durch Truppen des Kurfürsten von Sachsen geplündert; zwischen 1603 und 1606 wurden mehr als 300 Frauen als Hexen hingerichtet, verantwortlich dafür war der die Gegenreformation einleitende Fürstabt Balthasar von Dernbach; 1625, mit dem Dreißigjährigen Krieg, der für Fulda 35 Jahr währte, kam noch einmal die Pest in die Stadt.

1806 plünderten napoleonische Truppen die Stadt und die Kirchen. Adalbert III. von Harstall ist der 93. und letzte Fürst-Abt. Fulda wird Provinz. Die Revolutionen von 1830, 1848 und 1918 finden in Fulda kein Echo mehr, im Gegenteil: trotzdem man Anschluß an die Industrialisierung gefunden hatte, scharte man sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer enger um dem reaktionärer werdenden Klerus der Stadt. 1933 fordert der Fuldaer Bonifatiusbote (das offizielle Bistumsblatt): „Wir brauchen einen sicheren Führer, unter der Losung: Christliches Deutschland, kein kommunistisches!“ Zwölf Jahre später wurde diese Losung – ohne Bezug auf den Führer – noch einmal bekräftigt. Die Stadt war – parallel mit der Vertreibung der Fuldaer Judengemeinde – militärisch vereinnahmt worden, mit vier Kasernen, Munitionslager, Wehrbezirkskommando und Offizierskasino. Dies war ein Grund dafür, daß Fulda mehrmals von den Alliierten bombardiert wurde. Nach 1945 lebten zwar wieder einige hundert Juden in der Stadt, aber sie hielten es dort nicht mehr aus: Bis 1950 sind fast alle nach Palästina oder in die USA emigriert. Fulda war ökonomisch und kulturell vollends ins Abseits geraten – ins Zonenrandgebiet, „wo sich Förster und Bundesgrenzschutz gute Nacht sagten“. Mit Hilfe der Alliierten hatte der ehemalige Kommunist Kierzek nach dem Krieg die Fuldaer Volkszeitung gegründet, die erste nicht- papistische, nicht-nationalistische Zeitung in Fulda. Anfang der fünfziger Jahre sollte in Fulda das ehemalige klerikale Zentrumsblatt Fuldaer Zeitung (im folgenden F.Z.) wieder erscheinen, ein Pfarrer erklärte von der Kanzel herab, ihm sei bekannt, daß in der Gemeinde noch immer 41 Volkszeitungen gelesen würden, er erwarte, daß auch sie bald verschwänden. Ein anderer Geistlicher forderte zu Ostern seine Gemeinde auf, ein Vaterunser „für einen erfolgreichen Start der Fuldaer Zeitung“ zu beten. Seit den siebziger Jahren etwa geriet Fulda erneut ins Zentrum – in das der Nato-Offensiv- Verteidigung, als „Fulda Gap“. Von der einstigen wonnekräftigen Waldeinsamkeit blieben bald, von Autobahnen und Schnellbahntrassen zerschnitten, nur noch einige Festkilometer saure Fichten übrig. Diesem mählichen Abkappen des Realen, der lebendigen Verbindungen und Zusammenhänge, folgte eine moralische Erosion im Innern der Stadt. Sie begann mit dem „unheimlichsten Verbrechen unserer Zeit“: Der Schändung des Leichnams von Bischof Adolf Bolte durch den freischaffenden Künstler Jürgen Wegehenkel im November 1974. Der Täter konnte nach der Tat mit dem Krummstab entkommen, er vergrub ihn noch in der selben Nacht auf dem Kalvarienberg, nachdem er ihn stolz seiner Freundin, die zu Hause schon geschlafen hatte, gezeigt und von ihr nur zu hören bekommen hatte: „Sieh zu, wie du das wieder in Ordnung bringst!“ Bereits am nächsten Tag konnte man ihn anhand seiner Fingerabdrücke auf dem Ewigen Licht identifizieren und festnehmen. Wegehenkel gab an, es aus „Haß auf die Kirche und ihre Würdenträger“ getan zu haben. Später räumte er ein, es sei auch Eifersucht mit im Spiel gewesen (seine gläubige und von ihm schwangere Freundin hatte am Tag zuvor am Trauerzug der Fuldaer Katholiken zum Sarg des im Dom aufgebahrten Bischofs teilgenommen). Nach der Tat „nahm ich den Stab und schritt majestätisch nach Hause“, gab der angeklagte Leichenschänder zu Protokoll. Einen Tag vor seiner Tat hatte Wegehenkel schon inmitten der um den toten Bischof Trauernden vor dem Dom „ein Lied von einem Mönch aus dem 15. Jahrhundert gesungen; der Text lautete: ,Es gibt kein Händeringen / Wir müssen all von hinnen / dann kommt der Tod gefahren / auf einem schwarzen Wagen/ der Tod, der macht uns alle gleich / das Schwein, den Bischof, ob arm, ob reich.“ (F.Z.) Nach der Schändung erklärte der Nachfolger von Bischof Adolf Bolte, Kapitularvikar Eduard Schick „mit großer innerer Erregung: ,Diese Zeit trägt apokalyptische Züge‘“.

Das Fuldaer Amtsgericht, das Wegehenkel verurteilte, erhielt zahlreiche Drohbriefe von empörten Gläubigen, in denen das „Aufhängen des Angeklagten“ und das „Abhauen seiner rechten Hand“ gefordert wurde; mehrere anonyme Anrufer verlangten außerdem ein „Anhacken des rechten Fußes“. Dazu muß man wissen, daß die Wegehenkels zu der Zeit ein brühmtes Fuldaer Fußballer- Geschlecht waren. Wegehenkels schändliche Tat machte bei den Fuldaer Jugendlichen Schule: Zuerst wurde der Altar der Stadtteil- Kirche Bachrain geschändet. Die Gemeinde hatte gerade einen neuen Hirten bekommen: den Schlesier Schydlo – einen ehemaligen Militärseelsorger mit einer großen Vorliebe für alles Zackige. Seine Meßdiener schissen ihm nächtens in die Monstranz.

Sie kamen mit geringfügigen Bestrafungen davon. Einige Monate später passierte in der Edelzeller Kirche Ähnliches: Die Jugendlichen versuchten hier zusätzlich noch das Gestühl anzukokeln. Es wurden Höchststrafen gegen sie verhängt. Unterdes war Eduard Schick Nachfolger des Bischofs Bolte geworden. Sein Nachfolger wiederum wurde ein gewisser Dyba – dessen Name bald zu einer Maßeinheit herunterkam: In „Dyba“ mißt man seit seinem Amtsantritt die Geschwindigkeit, in der jemand eine unsägliche Blödheit nach der anderen von sich zu geben fähig ist. Dyba trennte sich zugunsten der „Mission“ von seiner wertvollen Briefmarkensammlung, die bereits sein Vater 1890 angefangen hatte (Bonifatius-Bote). In und um Fulda herum schossen indes – gemäß des Nato-Plans „Flexible Response“ – die US-Miltäreinrichtungen wie Pilze aus dem Boden.

Aus der Rhön drangen im September 1985 neue unchristliche Worte an die Öffentlichkeit: Gegen ein Honorar von 150.- bis 30.000 Mark beschwört die oberhessische „Satanspriesterin“ Ulla von Bernus ihren Klienten besonders verhaßten Mitmenschen Tod oder Krankheit an. Der mittlerweile abgesetzte Fernsehpfarrer Sommerauerbrachte sie daraufhin wegen „Mordes“ zur Anzeige; ein Gericht sprach die „Hexe“ jedoch frei.

Die Ereignisse jagten sich auf einmal. Zuerst war es wieder nur ein Gerücht in der Unterstadt, dem diesmal Kriminaloberkommissar Winfried Heurich im „Bermudadreieck“ („zwischen den Kneipen ,Zur Krone‘, ,Tante Änne‘ und ,Kulmbacher Schmiede‘“, (F.Z.) nachging. Der stadtbekannte Richard Ponizil, Gelegenheitsarbeiter und „Bierschnorrer“(Gelnhäuser Tageblatt), war verschwunden – samt seines Cordhutes. Man munkelte, er sei ermordet worden, trotzdem fing man bald an, Heurich wegen seines hartnäckigen Festhaltens an diesem Gerücht zu veräppeln . Ende Oktober wurde er jedoch fündig. Am 2.11.85 hieß es: „die beiden Brüder Sch. und die 27 und 43 Jahre alten Brüder H. sind verhaftet worden. Teilgeständnissen von zwei der mutmaßlichen Täter zufolge stieß der angetrunkene Ponozil gegen 18 Uhr zu einer Gruppe von fünf Männern, drei Frauen und zwei Kindern, die in den Fuldawiesen grillten. Die bis dahin heitere Stimmung sei umgeschlagen: Der ,Bierschnorrer‘ und angebliche Kinderschänder Ponizil sei unerwünscht gewesen. Einer der Männer habe Ponizil dann eine volle Bierflasche auf den Kopf geschlagen. Nach Fausthieben, Tritten und einem weiteren Schlag mit einer Bierflasche sei Ponizil blutend zusammengebrochen. Der Schwerverletzte schleppte sich laut Staatsanwalt Trost nach einer Viertelstunde an die Fulda und watete mit letzter Kraft durch das flache Wasser, wo er sich am Ufergestrüpp festhielt. Dort sei er dann von den ihm folgenden Männern in den Fluß zurückgestoßen worden. Einer habe ihn fünf bis zehn Minuten unter Wasser gedrückt. Seine Leiche sei anschließend beim Grillplatz auf einen frisch aufgeschichteten Holzhaufen gelegt und verbrannt worden.“ Zuvor hatten die Männer sich auf einer Baustelle Holz für ihren Scheiterhaufen besorgt, ferner einen neuen Kasten Bier geholt und die Frauen und Kinder mit dem fünften Mann weggeschickt. „Das Feuer loderte die ganze Nacht an der Grillstelle unter der Trauerweide hinter dem Eins-A-Markt“. Gegen Morgen wurden wohl die verkohlten Leichenteile in die Fulda geschaufelt – „deswegen hab man auch trotz Trockenlegung des Seitenarms der Fulda keinen Fund machen können“, teilte der leitende Oberstaatsanwalt Baumann mit. Die Täter kamen überein, Stillschweigen zu bewahren und „gaben ihrer Tat das Kennwort ,Hexenhammer‘“ (F.Z. vom 2. November 1985).

„Manchmal passiert monatelang gar nichts – und dann häufen sich plötzlich wieder die Ereignisse“, sagte die Lokalreporterin der F.Z., Iris Hartl, sehr treffend im Spätherbst. Am selben Tag, da der Oberstaatsanwalt, der ermittelnde Staatsanwalt, der Leiter der Fuldaer Kriminalpolizei, ein Kriminaloberrat und der erste Kriminalhauptkommissar auf einer Pressekonferenz stolz die Aufklärung der Ponizil-Falls verkündeten – am 1. November 1985 also –, schreckte ein rätselhaftes Ereignis die Fuldaer auf: In der Buttlarstraße explodierte ein dreistöckiges Mietshaus, das von Studenten der Fachhochschule für Sozialarbeit bewohnt wurde. Zwei Studenten starben, einer wurde schwer verletzt. Als die Studenten der Fachhochschule einen Trauermarsch planten, trafen Drohanrufe ein. Ein Anrufer meinte, daß noch „viel zu wenige Studenten gestorben seien“ (F.Z. vom 6. November). Einen Drohanruf erhielt am 6. November auch der Lokalredakteur der F.Z. („Du kriegst auch noch dein Fett ab!“), weil er die Erklärung des Astas zu dem Vorfall zitiert hatte. „Unter der Oberfläche brodelt hier in Fulda noch viel Rechtes“, kommentierte ein Kollege. Mag sein, daß es sich bei dem Unglück nur um ein „technisches Versagen“, bzw. „schuldhaftes Vergehen“ handelte, in Fulda ist irgendwie der Wurm drin. „Aber es läßt sich hier doch noch einigermaßen angenehm leben“, sagte dem Chronisten trotzig ein prominenter Fuldaer, der ungenannt bleiben will.

Kurze Zeit später werden in einem Kali-Kumpelnest unweit Fuldas zwei Kinder ermordet. In einem Prozeß, der in dem im Schloß untergebrachten Landgericht stattfindet, wird daraufhin die Mutter, Monika Weimar, zu „lebenslänglich Zuchthaus“ verurteilt. Dazu muß man wissen, daß derselbe Richter kurz zuvor gegen denselben (im übrigen stocksenilen) Staatsanwalt einen wegen dreifachen Frauenmordes angeklagten jungen Tischler freigesprochen hatte, weil dessen hochgerüstete Frankfurter Anwälte, Cobler und König, den ermittelnden BKA-Beamten quasi Foltermethoden beim Verhör nachweisen konnten. Im Prozeß gegen Monika Weimar nun mußte der Richter einfach dem Staatsanwalt nachgeben, so gebietet es die Fuldaer Räson. Was das Delikt anbetraf, war man dort früher weitaus toleranter: „Die Kinder der Nonnen warf man gewöhnlich in die Fulda. So wurde die Ehre der Klöster gerettet und die Fische wurden fett“, schreibt ein früherer Chronist, Emmanuil Roidis.

Über den Prozeß und das „skandalöse Urteil“ schreibt die Frankfurter taz-Korrespondentin Heide Platen kurze Zeit später ein Buch. Sie und ihr Bürokollege Klingelschmitt berichten seit jener Zeit mit schöner Regelmäßigkeit über Fulda, bis heute in insgesamt 240 Artikeln. Die Stichworte: „Ökologie“ (Kali-Versalzung der Fulda), „Feminismus“ (Dyba) und „Pazifismus“ (US-Militär). Nicht zu vergessen natürlich: „Neonazis“. Einige Eckdaten seien hier wiedergegeben. 16.9.88: Arbeitslose müssen beim Fuldaer Sozialamt ihre geschützten Krankendaten preisgeben, um Sozialhilfe zu bekommen. 19.1.89: „NPD solidarisch mit Dyba“. Weil der in Fulda stationierte GI Michael Peri sämtliche Daten über das „elektronische Verteidigungssystem“ seiner dortigen Einheit der DDR zugespielt hatte, wird er im Sommer 1989 zu 30 Jahren Haft wegen Spionage verurteilt. 16.9.89: Dyba, „der „Glöckner von Fulda“, will zum Jahresende ein fröhliches Föten- Läuten bundesweit veranstalten. Weil er, der auch der „Khomeini von Fulda“ heißt, dem Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) sämtliche kircheneigenen Räume in der Stadt gekündigt und die Zuschüsse aus der Kirchensteuerkasse gestrichen hatte, wollten die Jungkatholiken Ende September aus Protest „mehrere hundert Luftballons“ anläßlich der in Fulda tagenden Bischofskonferenz steigen lassen. Sie lassen sich die Aktion jedoch in letzter Minute noch schnell verbieten.

27.10.89: „Der Ayatollah aus der Rhön hat wieder zugeschlagen“ – diesmal verfügte er, daß kirchliche Grundstücke in Fulda nur an „Ehepaare mit katholischem Trauschein“ verkauft werden dürfen. Am 26.4.90 stellen die Grünen Strafantrag gegen Unbekannt: Fuldaer Polizeibeamte hatten ein iranisches Ehepaar, Sharia und Gilda Yousefi, „wie fanatisierte iranische Revolutionswächter“ festgenommen und mißhandelt. Ein Abschiebeversuch konnte in letzter Minute von amnesty international verhindert werden.

4.9.90: Eine Umfrage unter 900 Fuldaer Schülern ergibt, daß 20 Prozent „rechtsextreme Computerspiele“ (wie „KZ-Manager“) besitzen, weitere 40 Prozent gaben an, solche Spiele zu kennen. Weil er ein „Die In“ Homosexueller auf dem Fuldaer Domplatz verbieten ließ, störten etwa 150 Nichtgläubige einen Gottesdienst Dybas in Marburg. 26.3.92: Weil das Gebäude der Kirche gehört, dürfen in der Fuldaer Filiale der Drogeriekette „Schlecker“ keine Kondome verkauft werden. 23.9.92: Vorwürfe, daß Studentinnen der Fachhochschule Fulda gegen Leistungsnachweis zu Sex mit Professoren genötigt wurden, bezeichnet der Rektor, Dehler, als „überzogen“. Auf einem Friedhof bei Fulda stehlen Unbekannte eine wertvolle Guarneri-Geige aus dem Sarg eines Zigeuners. Dyba bezeichnet Abtreibung als „Kinder- Holocaust“, Papst Woityla ernennt den Fuldaer Erzreaktionär zum katholischen Militärbischof. Dieser erklärt daraufhin, man sollte auch deutsche Soldaten nach Bosnien an die Front schicken.

15.5.93: Wegen eines Brandanschlags auf ein Asylbewerberheim bei Fulda bekommen zwei Jugendliche Bewährungsstrafen von einem Jahr beziehungsweise sechs Monaten. 3.7.93: Fuldaer Forscher finden heraus, daß die Mikrowellengeräte immer mehr abstrahlen. Letzte Meldung: Einige Gießener Sozialwissenschaftler machen sich auf den Weg in die Barockstadt an der Rhön und finden heraus, daß dort noch viel mehr abstrahlt. Von August Bebel stammt die Einschätzung: „Wenn in Fulda einmal die roten Fahnen wehn, dann hat in Deutschland der Sozialismus gesiegt.“ In der Broschüre „Fulda, liebenswert – lebenswert“ stößt ihnen die Bemerkung auf: „Seit 1960 besteht eine Patenschaft mit dem Minenjagdboot Fulda M 1068 der Bundesmarine“.

Die Forscher sind, nach eigenen Angaben, auf der Suche nach Zeichen, „mit denen das in der Vergangenheit angelegte und sich im Gegenwärtigen abzeichnende Grauen richtig gedeutet werden kann“. Sie wollen damit, ihrem Finanzplan gemäß, bis 1999 fertig werden. Bis dahin mag diese Chronik hinreichen.