Frankreichs Führung schließt die Reihen

Präsident Mitterrand und Premierminister Balladur wollen gemeinsam die Grenzen für Asylbewerber dichtmachen, ohne den Anschein eines Nachgebens vor der Rechten zu erwecken  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Vor einem völlig anderen Hintergrund als in Deutschland debattiert Frankreich seit drei Wochen über eine Verfassungsänderung in Sachen Asylrecht. Vorreiter bei diesem Thema ist der konservative Innenminister Charles Pasqua, dem es bereits im letzten Frühjahr gelungen war, das Klischee vom „betrügerischen Ausländer“ zum politischen Tagesgespräch zu machen.

Damals hatte Pasqua drei Gesetze initiiert, die Ausländerkindern die Einbürgerung erschweren, der Polizei die Suche nach unerwünschten AusländerInnen erleichtern und die Einwanderung drosseln. Das letztgenannte Gesetz „über die Steuerung der Einwanderung sowie Einreise, Aufnahme und Aufenthalt von Ausländern in Frankreich“ wurde dann jedoch vom Verfassungsrat in wesentlichen Punkten für verfassungswidrig erklärt.

Es sah unter anderem vor, daß AsylbewerberInnen, deren Antrag bereits in einem anderen EG-Land abgelehnt worden ist, an der französischen Grenze kurzerhand abgewiesen werden. Diese Regel entspricht den Schengener Abkommen zur europäischen Integration von 1985, worin vorgesehen ist, daß AusländerInnen nur in dem EG-Land Asyl beantragen dürfen, in das sie zuerst eingereist sind. Das Abkommen soll zum 1. Dezember 1993 in Kraft treten. Die Verfassungsrichter meinen demgegenüber: Wer sich auf die Präambel der französischen Verfassung beruft – in der es heißt: „Jeder Mensch, der wegen seines Handelns zugunsten der Freiheit verfolgt wird, genießt Asylrecht auf dem Boden der Republik“ – der hat das Recht, bei der zuständigen Behörde OFPRA („Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen“) einen Asylantrag vorzulegen und bis zu einem Entscheid in Frankreich zu bleiben. Daher ruft Pasqua laut nach einer Verfassungsänderung, die eine solche Auslegung der Präambel verunmöglicht.

Flüchtlingslager an der französischen Grenze?

Ausgerechnet der Mann, der noch vor einem Jahr einer der Hauptgegner der Maastrichter Verträge war, fordert nun eine Verfassungsänderung, damit das europäische Recht in Frankreich angewendet werden kann. Und seine Position ist nicht einmal unstrittig: 1991 hatte der Verfassungsrat nämlich erklärt, daß die Schengener Abkommen der französischen Verfassung nicht widersprechen.

Viele Juristen sind daher der Ansicht, daß es möglich ist, ein Asylgesetz zu formulieren, welches Schengen verwirklicht, ohne die Verfassung zu verletzen. So will der Präsident des Verfassungsrates, der Sozialist Robert Badinter, nach Informationen der Wochenzeitung Le Canard Enchainé, ein Gesetz anregen, das in anderen EG-Ländern abgewiesenen AsylbewerberInnen ermöglicht, in einer Schnellprozedur in Frankreich Berufung einzulegen; während der Ermittlungen könnten diese Menschen in Auffanglagern an der Grenze untergebracht werden. Diese Lösung scheint jedoch selbst dem Hardliner Pasqua zu mißhagen, der sich offenbar nicht noch den Vorwurf anhängen lassen will, er habe die Einführung von „Konzentrationslagern“ zu verantworten.

Anders als in Deutschland ist das Asylproblem in Frankreich gar nicht besonders dringend, weil es den Behörden schon seit vier Jahren gelingt, die Zahl der AsylbewerberInnen drastisch zu reduzieren. 1992 baten gerade 28.873 Menschen in Frankreich um Asyl, während Deutschland 438.000 Anträge bearbeiten mußte; etwa 10.000 Menschen werden jedes Jahr als politische Flüchtlinge anerkannt.

Die Aufregung kann also als gezielte Demagogie gewertet werden. Die sozialistische Regierung von Michel Rocard zwischen 1988 und 1991 hatte administrative und gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die eine große Zahl von potentiellen AsylbewerberInnen abschrecken: So dürfen diese seit 1991 nicht mehr arbeiten, sondern müssen die Wartezeit mit einer Beihilfe von 600 Mark im Monat durchstehen. Zweitens wurde die Frist bis zu einem Entscheid der zuständigen Behörde OFPRA auf maximal sechs Monate verkürzt. Drittens ermitteln die Behörden über eine elektronische Datenbank, die die Fingerabdrücke der Asylbewerber speichert und vergleicht, ob der Antragsteller schon einmal unter eigener oder fremder Identität versucht hat, ins Land zu kommen. Dieses System könnte demnächst auch EG-weit eingeführt werden und die Zusammenarbeit der europäischen Polizeien verbessern.

Falls sich jedes EG-Land, wie vorgesehen, selbst um seine AsylbewerberInnen kümmert und diese gegebenenfalls zurückschickt, stellt sich das Problem erst gar nicht, das Frankreichs Politiker jetzt so erregt. Die Asyldebatte erscheint vielmehr als parteipolitisches Manöver: Pasqua, der dabei kräftig von seinem Parteichef Jacques Chirac unterstützt wird, setzt den moderaten Premierminister Edouard Balladur durch seine lautstarken Forderungen unter Druck. Pasqua und Chirac versuchen, die bislang so harmonische cohabitation zwischen dem konservativen Premier und dem sozialistischen Präsidenten Mitterrand zu stören, die Balladurs Popularität so sehr dient. Vor allem Gaullistenführer Chirac, der 1995 Präsident werden will, würde es gefallen, wenn Balladurs Ansehen bei den Franzosen litte.

Nur Mitterrand kann ein Referendum verhindern

Balladur kann eine Verfassungsänderung nämlich nur dann in die Wege leiten, wenn Mitterrand mitspielt und Nationalversammlung und Senat zum „Kongreß“ zusammenruft; der kann mit Dreiviertelmehrheit – welche die Regierungsparteien schon innehaben – die Verfassung ändern. Der zweite Weg zur Verfassungsänderung wäre ein Volksentscheid. Ein Referendum zu einem derart sensiblen Thema wie dem Asylrecht wäre ein gefundenes Fressen für alle rechten Extremisten.

Das will der moderate Balladur erst recht vermeiden. Am Mittwoch versuchte der Regierungschef, die Hardliner zufriedenzustellen: Die Entscheidung des Verfassungsrates stelle Frankreich vor Probleme, meinte er und fuhr scharf fort: „Es kommt nicht in Frage, daß wir Frankreich ohne ausreichenden Schutz gegen die heimliche Einwanderung lassen.“ Balladur versprach, daß er seine Verhandlungen mit dem Präsidenten über eine schnelle, aber möglichst begrenzte Verfassungsänderung auf parlamentarischem Weg fortsetzen werde. Dabei denkt er an einen Zusatz, der präzisiert, daß das Asylrecht im Rahmen internationaler Verträge gewährt werden soll. Offenbar befürworten auch Mitterrands Berater eine derartige Lösung, die der Präsident mit seinem europäischen Engagement verbrämen könnte.

Daß Mitterrand seine sozialistischen Parteifreunde durch eine solche Einschränkung der Menschenrechte brüskieren würde, fällt kaum ins Gewicht: Seit sein Erzfeind Michel Rocard die Parteiführung an sich gerissen hat, ist die Kluft zwischen der PS und ihrem Gründervater immer größer geworden. Gewiß versucht die Linke, beim Thema Asyl Flagge zu zeigen. Doch sie ist noch immer so geschwächt, daß ihre Einsprüche gegen eine Verfassungsänderung – die Rocard milde als „völlig unnötig“ bezeichnet hat – sowieso untergehen. Die Entscheidung liegt nun allein bei Mitterrand.