Vom Akademiker zum Straßenfeger

■ Bonner „Zumutbarkeits“-Pläne bringen nichts als Verdruß

Berlin (taz) – Wer arbeitslos ist, soll künftig eher damit rechnen, auch niedriger qualifizierte Tätigkeiten annehmen zu müssen. Die sogenannte Zumutbarkeitsanordnung müsse „konsequent“ angewandt werden, fordert die Bundesregierung in ihrem neuen Standortbericht.

In der Praxis der Arbeitsämter allerdings stößt dieses Ansinnen auf Kopfschütteln. Die schon elf Jahre alte Anordnung sieht fünf Qualifikationsstufen vor, die vom Akademiker bis zum ungelernten Arbeiter reichen.

Nach jeweils vier bis sechs Monaten Arbeitslosigkeit kann der Erwerbslose eine Stufe tiefer rutschen – theoretisch wäre ein ehemaliger Uni-Assistent dann nach zwei Jahren Hilfsarbeiter. Ein Zeitaufwand für den Arbeitsweg von täglich bis zu zweieinhalb Stunden oder in Einzelfällen gar mehr können zugemutet werden. Wer einen Job unbegründet ablehnt, bekommt demnächst über einen Zeitraum von zwölf Wochen kein Arbeitslosengeld.

Soweit die Theorie. In der Praxis allerdings bringt eine Herabstufung der Erwerbslosen wenig. Die Arbeitsämter könnten nämlich „gar nicht genügend Stellen in den tiefer angesiedelten Qualifikationsstufen anbieten“, sagt Hermann Henke, zuständiger Referatsleiter der Bundesanstalt für Arbeit. Denn gerade bei den Hilfsjobs drängten sich die Erwerbslosen. Würde man Akademiker oder Facharbeiter konsequent herabstufen, gäbe das nur einen „Verdrängungseffekt von oben nach unten“, so Henke.

Ein Beispiel aus der Statistik (West) von 1992: bei den Un- und Angelernten betrug das Verhältnis der Arbeitslosen zu den entsprechenden offenen Stellen acht zu eins, bei den Erwerbslosen mit Berufsausbildung dagegen nur knapp fünf zu eins.

„Wozu einen arbeitslosen Kfz- Schlosser in einen niedriger angesiedelten Job zwingen, wenn man zehn Ungelernte in der Kartei hat?“ meint Peter Hielscher, Sachbearbeiter für Öffentlichkeitsarbeit beim Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. „Außerdem würden wir so jemandem dann quasi seine Ausbildung wieder wegnehmen.“ Die meisten amtlichen Arbeitsvermittler empfinden es als wenig motivierend, einerseits Qualifizierungsmaßnahmen zu vermitteln, andererseits aber Arbeitslose qualifikationsmäßig wieder zurückzustufen. Nicht zuletzt sind auch die Arbeitgeber in der Regel kaum daran interessiert, ihren Betriebsfrieden durch unlustig Überqualifizierte stören zu lassen.

Der Ruf nach mehr Konsequenz wird schon durch die zahlenmäßige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ad absurdum geführt: In Brandenburg beispielsweise kommt bei den Arbeitsämtern auf rund 30 Erwerbslose eine offene Stelle. „Wie soll man denn“, fragt Hielscher, „mit diesem minimalen Angebot bei den Arbeitslosen noch irgendeine Leistungsbereitschaft prüfen?“ BD