Vaterländische Aktion

„Was, das Volk hat kein Brot? Dann soll es doch Kuchen essen!“ So oder ähnlich wird Marie Antoinette zitiert. Was, wir haben kein Geld für den Umzug der Regierung nach Berlin? Dann machen wir eben ein großes Fest.“ Wie gut, daß es Olympia gibt. Dann reiten wir eben den olympischen Gaul. Die Baulöwen sitzen schon in den Startlöchern, die Profiteure scharren ungeduldig mit den Hufen. Das Signal für Olympia 2000 in Berlin, das von Sportissimo Samaranch und seinen Mannen erhofft wird, wäre das gewünschte Signal für einen politischen Frühstart beim Thema Umzug. Da ist sie wieder, die große vaterländische Aktion aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, die Vision, die große Parallelaktion.

Kommt Olympia, dann kommt auch die Regierung. Als würde die Politik auch nur ein Jota besser, nur weil die gleichen Köpfe in Berlin statt in Bonn am Volk vorbeiregieren. Darum also wird die Olympiabewerbung Berlins zur Staatsaktion. Mit großen Budgets und Bücklingen gewählter Demokraten vor einer Feudalherrenclique um den machtbewußten Antonio Samaranch. Mit zensierten Presseberichten vom Berlinbesuch des IOC-Fürsten und nebulösen Kostenrechnungen. Ein Trauerspiel.

Heidi Schüller

Foto: Friedrich Stampe

Deshalb müssen alle Mißtöne unterbleiben, die Hofberichterstattung hat Konjunktur. Von Stuttgart bis zur Funkausstellung. Deshalb wird die vereinte olympische Kampfpresse auf Vordermann gebracht, und alle Kritiker werden ausgegrenzt. Diese elenden Erbsenzähler und Spielverderber aber auch. Eine große Idee läßt sich nicht in Talern ausrechnen. Es geht um höheren Blödsinn!

Die Jugend der Welt, Ruhm und Ehre und den Aufmarsch der Nationen vor geschichtsträchtiger Kulisse. Huldigungen des gemeinen Fußvolks an die Großen dieser Welt auf der Ehrentribüne. Was scheren uns Billionen Staatsschulden und kommunale Defizite. Der Kanzler will jetzt Spiele. Trotz finanzpolitischer Hiobsbotschaften Tag für Tag. In die Flucht geschlagen, glaubt er zu jagen. Die Scheune brennt, was soll's. Hauptsache, die politischen Feuerwehrleute polieren derweil genüßlich die Goldknöpfe ihrer Uniformen, damit sie hübsch glänzen auf der großen Feier. Im Jahr 2000 oder so. Heidi Schüller

Die Autorin ist ehemalige Leistungssportlerin, sprach 1972 in München den Olympischen Eid und lebt heute als Ärztin in Köln.