Endspurt ins Desaster

Am 23. September wird in Monte Carlo über die Vergabe der Olympischen Spiele des Jahres 2000 entschieden. Berlins Olympialobby rechnet sich trotz chaotischer Bauplanung und hochnotpeinlicher Bewerbungskampagne noch Chancen aus

Trotz aller Pannen: Für Berlins Senator für Stadtentwicklung, Volker Hassemer, sind die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2000 in der Spreemetropole „bereits gelaufen“. Sein Part für die Entscheidung am 23. September in Monte Carlo „steht“. An zwei olympischen Hallenstandorten, der Box- und Radsporthalle, legte er vor wenigen Wochen noch eigenhändig den Grundstein. Die anderen Wettkampfarenen sind fertig aufs Papier gezeichnet. Für den Bau des Athletendorfs und die Wohngebäude der „olympischen Familie“ (Funktionäre) liegen Gutachten bereit. Hassemer: „Die Planungen sind auf den Weg gebracht. Ich kann abwarten und muß nur noch zusehen, daß alles wird wie geplant.“

Im „Endspurt für Olympia“ versprühen auch Hassemers Kollegen, Bausenator Wolfgang Nagel und der Regierende Bürgermeister selbst, Optimismus. Eberhard Diepgen: „Olympia Berlin 2000, das werden sanfte Spiele sein. Wir werden keine grünen Wiesen zerstören, sondern Sanierungsgebiete aufbauen.“ Wo heute noch Altlasten aus DDR-Zeiten den Boden vergiften, entstünden morgen Wohnungen für Zehntausende, ökologische und „stadtverträgliche“ Hallen für Bezirkssportler sowie neue Verkehrsverbindungen der S- und U-Bahn. Die Olympiade sei für die nächsten sieben Jahre der „Motor der Stadtentwicklung“. Die Visionen sind gewaltig. Zwischen dem Olympiastadion im Westen der Stadt und der Rummelsburger Bucht im Osten sollen sich wie Perlen auf einer Schnur das Olympische Dorf für 20.000 Sportlerinnen und Sportler, Hallen für Fechten, Basket- und Volleyball, ein Superdom für 15.000 Besucher, die Judo-, Schwimm-, und Sprunghallen für 6.000 bis 9.000 Zuschauer sowie das Mediendorf für die Vertreter der Presse aufreihen. Verknüpft würden die Sportstätten mit dem „Olympia-Expreß“, einer futuristischen Schnellbahn, für die neue Gleisanlagen quer durch die Stadt gebaut werden müßten.

Doch Visionen sind teuer, zumal wenn sie nicht zu Ende gedacht sind: Die Sieben-Jahre- Rechnung ist zu großen Teilen auf Sand gebaut und gleicht einer Lizenz zum Schuldenmachen. Auf der Suche nach dem Standort des Athletendorfs fiel nach langem Hin und Her die Wahl auf ein städtebaulich abgehängtes Gelände nahe einer Polizeischule und in Sichtweite einer Müllverbrennungsanlage. Gegen die Anlage votierten die Anwohner, die beim Bau ökologische Belastungen der nahen Murellenschlucht befürchten. Die Planung mußte darauf, wie auch bei der Judohalle im Bezirk Prenzlauer Berg, geändert werden. Schließlich zeigen die Bauvorhaben für die Olympiahalle mit einer angrenzenden 140.000 Quadratmeter großen Mantelbebauung, daß der Senat ins Blaue hinein operiert. Weder gibt es eine abgestimmte Planung zwischen den Verwaltungen und dem Bezirk, noch gibt es Zusagen des Investors, einem schwedisch-deutschen Konsortium, die Mammutanlage zu finanzieren. Trotzdem schuf man Fakten: Das Stadion der Weltjugend wurde vorsorglich plattgemacht. Ein gähnend leeres Bauloch wartet seither darauf, wie es weitergeht. Sollte Berlin den Zuschlag für die Spiele nicht bekommen, ist völlig unklar, was mit dem riesigen Gelände mitten in der Stadt passiert. Alternativen für das Areal wurden vom Senat nicht erarbeitet. Auf Jahre entstünde eine innerstädtische Brache mehr – neben dem Mauerstreifen und dem Potsdamer Platz.

Auch die Kalkulation der Bauvorhaben beruht auf Schönfärberei. Anstatt eine Rechnung mit allen olympiabedingten Investitionen aufzumachen, bilanzierten der Senat sowie die Olympia GmbH für die neuen Sportstätten Kosten von rund 1,8 Milliarden Mark. Ignoriert wurden „nicht-olympiabedingte“ Investitionen in einer Höhe von über 8 (!) Milliarden Mark für die Baumaßnahmen des Olympischen Dorfes und das der Olympischen Familie, für Sporthallen auf dem Messegelände und die große Olympiahalle. „Diese Bauten“, analysierte der vom Senat beauftragte Finanzjongleur, Prof. Wolfgang Maennig, „können entweder frei oder im Rahmen der existierenden öffentlichen Förderprogramme finanziert werden“.

Weit gefehlt. Die Sanierungsgebiete für den Wohnungsbau und die drei nicht-olympiabedingten Sporthallen (Box-, Schwimm-, Radhalle) die als „Sofortbaumaßnahmen“ mit 750 Millionen Mark vom Berliner Haushaltsplan abgegolten sind, werden zu unkalkulierbaren Positionen, weil Kosten für Altlasten sowie Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen nicht eingerechnet wurden. Auch die Olympiahalle, die laut Eberhard Diepgen, Berlin „keine Mark kosten“ sollte, schlägt beim möglichen Bau mit über 500 Millionen Mark in den öffentlichen Kassen zu Buche. Den Investor, der die Arena und einen Bürokomplex „frei“ finanzieren sollte, plagen Rendite-Sorgen. Nur wenn Berlin in eine Public-Private-Partnership miteinsteigt und einen Teil der Milliardeninvestition trägt, geht das Geschäft über die Bühne.

Schließlich wird der Olympia- Expreß nicht nur die öffentlichen Kassen, sondern zugleich den öffentlichen Nahverkehr Berlins lahmlegen. Das 300-Millionen- Ding soll auf Wunsch des IOC bei Funktionärs-Transporten allen anderen Schienenfahrzeugen die Vorfahrt nehmen; zur Sicherheit müssen Trennwände auf den Bahnsteigen angebracht werden. „Auf dem östlichen Berliner Innenstadtring ginge dann gar nichts mehr“, stellte der Berliner AL-Abgeordnete Michael Cramer fest. Und im Westteil müßten Bahnhöfe aus Sicherheitsgründen geschlossen werden. Freie Fahrt für Olympia, für Berlins Bevölkerung aber heißt es schlicht: „Zurückbleiben.“ Rolf Lautenschläger