Jelzin zwingt die Ukraine in die Knie

■ Gipfeltreffen in Jalta: Ukraine gibt Atomraketen und Schwarzmeerflotte auf und erhält von Moskau Entschädigung / Ukraine vor Bankrott und Streikwelle

Jalta/Moskau (taz/dpa) – Einander entgegen auf die sonnige Krim flogen gestern die Präsidenten Rußlands und der Ukraine, Jelzin und Krawtschuk. Der russische Ministerpräsident Tschernomyrdin eilte dorthin sogar direkt aus den USA. Ein neuer Gipfel stand an, zum Thema Wirtschaft, zu den Dauerbrennern Schwarzmeerflotte und Vernichtung des ukrainischen Atomarsenals.

Was Boris Jelzin dann am Nachmittag zusammen mit Leonid Krawtschuk vor der Presse verkündete, war sensationell: „Alle Raketen werden aus der Ukraine abgezogen“, sagte der russische Präsident. „Die Zerstörung und der Transport werden von Rußland ausgeführt. Die Ukraine wird dafür mit nichtangereichertem Uran entschädigt.“ Erfolg für Moskau auch in der Flottenfrage: „Die Schwarzmeerflotte wird vollständig an Rußland übergeben.“ Was allerdings so nicht ganz stimmte. „Eine Hälfte der Flotte gehört der Ukraine“, bestätigte Krawtschuk einen schon einmal ausgehandelten Kompromiß. „Sie hat das Recht, ihre Hälfte zu verkaufen.“ Noch eine Teilwahrheit. Denn – laut Jelzin – mit dem Verkauf der ukrainischen Flottenhälfte würden die ukrainischen Schulden an Rußland bezahlt.

Schon vor dem Treffen hatte sich am finanziellen Horizont die Art der Lösungen dieser Fragen abgezeichnet. „Wir können nicht zulassen, daß die Ukraine eine Atommacht ist“, hatte Jelzin vor dem Abflug gegrummelt, und der ukrainische Ministerpräsident Leonid Kutschma ließ durchsickern, es ginge dabei nur noch um Kompensationszahlungen. Die Frage der Schwarzmeerflotte sollte mit einer Lösung für den umstrittenen Krimhafen Sewastopol verknüpft werden: Moskau dürfe die Marinebasen in Sewastopol mieten, vielleicht für hundert Jahre. Die Russen behielten damit die flottennotwendige Infrastruktur in der Hand und die Ukraine die Stadt Sewastopol. Ein solches salomonisches Urteil würde aber eine dritte Seite anfechten: Der Vorsitzende des Krim-Parlamentes, Bagrow, erklärte, wenn schon Miete gezahlt werde, dann ja wohl der Autonomen Republik Krim.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit bildete den Angelpunkt der Gespräche. Die Ukraine ist bankrott, russische Hilfe erscheint als letzte Rettung. Die nationale Währung Karbowanez fällt ins Bodenlose – der Kurs zum US-Dollar stand zuletzt bei 19.000 zu eins. Zum 1. September verfünffachte sich der Brotpreis. Die Krise hat die ukrainische Volksfront „Ruch“ zu neuen Aktivitäten angeregt: Ihr Führer, Tschornowil, erklärte am Donnerstag in Kiew, seine Organisation gedenke, mit allen Mitteln Neuwahlen durchzusetzen. Gleichzeitig forderten die Repräsentanten verschiedenster Arbeiterkomitees und Gewerkschaften den Rücktritt Präsident Krawtschuks und des Parlamentes, falls das von ihnen gewünschte Referendum nicht am 26. September durchgeführt werde. Im Streik befinden sich bereits die Lokomotivführer des Nikolajewer Depots bei Odessa; sie haben sich aber entschieden dagegen gewandt, ihren Aktionen nationalistische Losungen aufzuzwingen. Was die nichtorganisierten ukrainischen Wähler betrifft, so arbeiten diese auf dem Schwarzmarkt neben dem Kiewer Bahnhof in Moskau längst eifrig an der Überwindung jeglicher nationaler und Zollbarrieren. bk