Die Untrainierte

■ Die taz-Serie zur Wahl / Heute Folge 9: Kultursenatorin Christina Weiss

Traditionell behandelt die Hamburger SPD das Kulturressort wie eine geistige Abstellkammer, deren Inhalt einzig dazu dient, den Standortfaktor mit Renommée-Objekten zu umkränzen. Ansonsten ist der sozialdemokratischen Fraktion Kultur ein Greuel. Der leider unabschaffbare Senatsposten war stets einziger Grund zur Freude über einen Koalitionspartner, an den man die Kultur abstoßen konnte. Als Hamburg die absolute SPD-Mehrheit wollte, mußte also jemand parteiloses berufen werden, zur allgemeinen Überraschung die damalige Chefin des Literaturhauses Christina Weiss.

Ohne Angst, ihren guten Ruf als Intellektuelle in einem SPD-Senat zu ruinieren, nahm sie an und legte gleich mit inhaltlichen Visionen los, die aufhorchen ließen. Ihre anfängliche Vermischung von Blauäugigkeit und Mut zeigten eine im Pragmatismus untrainierte Quereinsteigerin mit gestalterischen Neigungen. Filz war für sie ein Werkstoff von Joseph Beuys.

Doch kaum im Amt, mußte sie das schmerzliche Einmaleins der Problemlösungen lernen. Mit erstaunlicher Entschlossenheit vollendete sie den Kammerspiele-Konkurs von Ursula Lingen, doch gleich ihre erste „gestalterische“ Entscheidung verunglückte klassisch. Im Alleingang entschied sie sich für Stephan Barbarino als neuen Intendanten, dem sie jetzt mit Subventionsentzug drohen muß, wenn seine Bilanzen nicht besser werden.

Ihre Außendarstellung war im ganzen ersten Jahr von einer freundlich lächelnden Unbeholfenheit, die man gleichermaßen sympathisch wie peinlich finden konnte. Dank eines finanziellen Zwischenhochs und einigen Kampferfolgen (etwa das GmbH-Modell für Kampnagel) gewann Christina Weiss Statur. Auch ihre Rekordsumme an Repräsentationsterminen mag zu dieser neuen Souveränität beigetragen haben.

Dennoch weist ihre Amtszeit eine lange Debakelliste auf: Vom Konkurs des Scala-Theaters und dem Fast-Konkurs von Kampnagel über die katastrophalen Fehlentscheidungen im Filmbereich (Stichwort: Filmfest ade!) und ihrer unmöglichen Politik während der versuchten Besetzung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme durch Roma und Sinti reicht sie. Dagegen ist die Durchsetzung der Kunstinsel gegen erheblichen Widerstand im Senat eine prima Leistung. Doch daß großartige Akzente und die Vermittlung von Visionen in unmittelbarem Verhältnis zum Etat stehen (und der Kulturetat ist mit kanpp 2 Prozent nach wie vor eine Farce), hat inzwischen auch Christina Weiss gelernt. In zwei Jahren ist aus ihr eine schulmäßige Pragmatikerin geworden, eine sympathische immer noch.

Testergebnis im Überblick:

Filz: Ressortbedingt fast keiner

Emissionswerte: Qualität nähert sich Quantität

Leistung: Ausgeglichene Schaden-Nutzen-Rechnung

Till Briegleb