: Autofrei im Hollerland
■ Darmstädter Architekt für ökologisches Bauprojekt ausgewählt / „Keine Eliteoase“
Der Darmstädter Architekt Gerd Hamacher ist der glückliche Auserwählte, der den städteplanerischen Entwurf für das ökologische Wohnungsbauprojekt „Autofrei im Hollerland“ aufs Zeichenpapier bringen wird. Ausgesucht wurde er von einer Gruppe zukünftiger BewohnerInnen der Siedlung, die sich am Samstagnachmittag im Ansgaritorsaal versammelten, um drei Bewerber kritisch unter die Lupe zu nehmen. Hamacher konnte sich gegen den Braunschweiger Professor für Siedlungsplanung Per Krusche und das Architekturbüro Boockhoff & Rentrop durchsetzen. Die künftigen BewohnerInnen befanden, der Darmstädter sei „ehrlich“, habe „nichts verkaufen“ wollen und in anderen Bauprojekten bereits unter Beweis gestellt, daß er mit NutzerInnen konstruktiv zusammenarbeiten kann.
Leicht ist die Entscheidung für Hamacher allerdings nicht gewesen. Die Gewoba, Bauträgerin und Besitzerin des Grundstückes, der Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung und die BewohnerInnenberatung hatten drei hervorragende Städteplaner zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Entscheidung, wer von den drei Kandidaten auserkoren wurde, lag in den Händen der NutzerInnen. Nicht alle waren allerdings mit der Vorauswahl zufrieden. Eine zukünftige Eigentümerin bemängelte, daß gar nicht erst der Versuch gemacht wurde, eine Frau für den Entwurf in Erwägung zu ziehen. Angeblich hatten keine Architektinnen mit „dem nötigen Profil“ zur Verfügung gestanden. Letzlich waren aber alle Beteiligten mit der Wahl einverstanden. „Hamacher war auch mein Wunschkandidat“, sagte Klaus Kette von der Gewoba.
Das ungewöhnliche Planungsverfahren der Wohnsiedlung im Hollerland soll ein Modell für Bremer Neubauvorhaben werden. „Wohnen soll Wohlfühlen bedeuten“, so Michael Glotz- Richter vom Senat für Stadtentwicklung, “die Bewohner sollen bei der Planung einbezogen werden. Damit betreten wir nicht nur mit den ökologoschen Inhalten, sondern auch vom Verfahren her völliges Neuland.“
Das Interesse an der autofreien Wohnsiedlung im Holler
Damals Teufelswerk, heute ökologisches Pilotprojekt - Bauen im Hollerland
land, wo rund 250 Wohnungen entstehen sollen, ist außerordentlich groß. Über 350 Bremer Haushalte, die aus ökologischer Überzeugung ohne Auto leben, wollen endlich auch in den Genuß der Vorteile autofreien Wohnens kommen: weniger Lärm, bessere Luft, gefahrloses Spielen auf der Straße für den Nachwuchs und weniger Baukosten für Parkplätze und Zufahrtsstraßen. Was hier an Kosten und Fläche gespart wird, soll für Sinnvolleres ausgegeben werden. Statt einer endlosen Kolone eigener Autos wird es Car-Sharing und einen Besucherparkplatz geben.
Doch autofreies Wohnen ist
nicht der einzige Anspruch des ehrgeizigen Bauvorhabens. Die neue Siedlung soll außerdem generationsübergreifend, behindertengerecht und sozial gemischt sein: „Das soll kein Eliteghetto werden!“ meint ein zukünftiger Bauherr. Das neue Stadtviertel wird zu gleichen Teilen aus Eigentums-, Sozial-und normalen Mietwohnungen bestehen. Außerdem sollen die Neubauten nicht „wie eine Raumstation am Tropf“ hängen, sondern in den ökologischen Kreislauf eingebunden werden. Und all das soll natürlich auch noch möglichst billig sein: Nicht mehr als 3700 Mark soll der Quadratmeter kosten.
Um die Interessen der zukünf
tigen NutzerInnen effektiv vertreten zu können, wird am 10. September der Verein „Autofrei im Hollerland“ gegründet.
Bis Ende des Jahres soll der Architekt Gerd Hamacher dem Bauplan für die Siedlung den letzten Schliff gegeben haben. Den ersten Entwurf wird der Darmstädter bereits im Oktober vorlegen. In einem sogenannten Werkstattgespräch werden NutzerInnen, Gewoba und der Senat für Stadtentwicklung dann über das künftige Gesicht der Siedlung debattieren. Danach soll alles ganz schnell gehen. Der Baubeginn für die ökologische und soziale Oase ist für 1995 vorgesehen. Silke Mertins
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen