piwik no script img

Türkei vergleicht Armenien mit Irak

■ Ministerpräsidentin Ciller droht unverblümt mit Krieg

Istanbul (taz) – Auf der Wirtschaftstagung der Islamischen Konferenz in Istanbul hat der türkische Staatspräsident Demirel die Eroberungsfeldzüge der Armenier in Aserbaidschan mit den „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien verglichen. Der bewaffnete Überfall auf Aserbaidschan und die Besetzung seines Territoriums breche internationale Rechtsnormen. „Unsere aserbaidschanischen Brüder und Schwestern sind zu Flüchtlingen in ihrer eigenen Heimat geworden“, meinte Demirel mit Blick auf die Hunderttausenden, die an die iranisch-aserbaidschanische Grenze vertrieben wurden.

Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller drohte unverblümt mit Krieg, falls der Status der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan verändert werde. „Dann gehe ich sofort zum Parlament und hole die Vollmacht, Militär einzusetzen.“ Die Türkei und Nachitschewan haben eine gemeinsame Grenze von etwa zehn Kilometern Länge.

Außenminister Hikmet Cetin sagte: „Es gibt keinen Unterschied zur Besetzung Kuwaits durch den Irak. Es gibt Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die armenischen Verbände müssen sich sofort aus aserbaidschanischem Territorium zurückziehen.“ Politiker türkischer Oppositionsparteien gingen sogar noch einen Schritt weiter als die Regierungssprecher. Der stellvertretende Vorsitzende der „Mutterlandspartei“, Ekrem Pakdemirli, forderte die Bombardierung armenischer Stellungen.

Doch die Kriegsrhetorik der türkischen Politiker und die Mobilmachung der türkischen Armee an der armenischen Grenze sind eher symbolische Gesten, mit denen die Türkei die aserbaidschanischen Türken stützen will. Eine militärische Intervention der Türkei im Kaukasus liegt fern. Eher ist es das Eingeständnis, daß die Türkei ihren Einfluß im Kaukasus verloren hat, was türkische Politiker aus der Fassung bringt. Und es ist nicht so sehr die völkerrechtswidrige Annexion Aserbaidschans durch die Armenier, die den Plänen einer starken türkischen Regionalmacht entgegensteht, als vielmehr die innenpolitische Wende in Aserbaidschan selbst.

Der erste aus freien Wahlen hervorgegangene Präsident Abulfaz Elschibey, der enge Beziehungen zur Türkei unterhielt, wurde im Juni vom Militär weggeputscht und flüchtete in die Exklave Nachitschewan. In einem umstrittenen Referendum vergangene Woche wurde Elschibey das Mißtrauen ausgesprochen. Daraufhin kündigte dieser gestern seinen Rückzug aus der Politik an. Der neue starke Mann in Baku, Parlamentspräsident Haydar Aliyew, einst wichtiges Politbüromitglied der KPdSU, setzt im Gegensatz zu Elschibey auf Rußland, um den aserbaidschanisch-armenischen Konflikt beizulegen.

Am letzten Freitag holte sich Aliyew von den Abgeordneten die Vollmacht ein, mit Rußland über eine Rückkehr des Landes in die GUS und ihren Militärpakt zu verhandeln. Während Armenien Mitglied im Verteidigungspakt der GUS ist, hatte Ex-Präsident Elschibey die Mitgliedschaft Aserbaidschans abgelehnt. In Kreisen Aliyevs wird der Umstand, daß es einen russisch-armenischen Pakt gibt, während sich die russischen Truppen aus Aserbaidschan zurückgezogen haben, für den armenischen Eroberungsfeldzug verantwortlich gemacht.

Heute trifft sich Aliyev mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin in Moskau. Die Rückkehr Aserbaidschans in die GUS und ihren Militärpakt sowie die Entsendung russischer Truppen nach Aserbaidschan könnte auf der Tagesordnung stehen. „Es ist ein abgekartetes Spiel. Aliyev und Jelzin haben sich bereits heimlich geeinigt. Wie in Tadschikistan ist es beschlossene Sache, daß die GUS Truppen schickt“, sagt der ehemalige Kommandant der aserbaidschanischen Landstreitkräfte, Fehim Haciyev. Am Mittwoch ist die türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller auf Einladung Jelzins Staatsgast in Moskau. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ebenfalls ein Dreiergipfel Jelzin, Aliyev und Ciller stattfinden wird.

Die Türkei will um jeden Preis verhindern, daß russische Truppen als Friedensstifter nach Aserbaidschan gerufen werden. Sie fordert statt dessen die Entsendung von Beobachtern der eurpäischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE). Die Rückkehr der russischen Truppen nach Aserbaidschan und ein von den Russen oktroyierter Frieden würden das endgültige Ende des türkischen Einflusses auf dem Kaukasus besiegeln. Ömer Erzeren

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen