„Zehn Westmark Mindestumtausch“

■ Im Dresdner Music-Circus erstand einen Abend lang die DDR wieder auf

Dresden (taz) – Es kommt schlimmer als erwartet. „Zu Ehren der Kommunalwahlen 1 zusätzliche Tagesproduktion.“ An der Tür kräftige Jungs von den Ordnungsgruppen der Freien Deutschen Jugend. Leuchtend ein Bildnis des Generalsekretärs.

Ich brauche erst mal ein Bier. Die freundliche FDJlerin am Tresen bittet mich, mein Westgeld gegen Ostgeld zu tauschen. Ich gehe zur Wechselstelle. 1:10 steht der Kurs. Der glatzköpfige Banker guckt pikiert auf meine beiden Zweimarkstücke und mault: „10 Westmark ist der Mindestumtauschsatz.“

Ein Becher Bier kostet 20 Mark. Allmählich füllt sich das weite Rund des Circus. Viele haben es sich nicht nehmen lassen, im blauen Ehrenkleid des Jugendverbandes zu erscheinen. So viel Verbandsdisziplin wird mit freiem Eintritt belohnt.

Das Zirkuszelt erstrahlt im festlichen Fahnenschmuck. Hammer, Zirkel, Ährenkranz, die Embleme der Partei der Arbeiterklasse und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft sind allgegenwärtig. In der „Traditionsecke“ liegen hinter Glas das „Handbuch Militärisches Grundwissen“ und Mitgliedsbücher der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“. Die „Geschichte der SED“, landläufig auch „Abriß“ genannt. Eine Flasche Limonadensirup. Himbeergeschmack. Das „Merkblatt für die vormilitärische Nachrichtenausbildung“, herausgegeben vom Zentralvorstand der Gesellschaft für Sport und Technik.

Vielleicht ist er ein erfolgreicher Jugendbrigadier? Der nicht mehr ganz junge Mann neben mir trägt eine blinkende Reihe hoher Auszeichnungen am Revers. Er schaut sich die Vitrinen an und sinniert: „Daran kann man sich kaum noch erinnern.“ Die Gäste der DDR- Party des Music-Circus sind SchülerInnen und StudentInnen, Angehörige der Arbeiterklasse und der Intelligenz, Funktionäre des gesellschaftlichen Lebens. Allen steht die Freude über diesen Abend ins Gesicht geschrieben.

„Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen.“ Der Oktoberklub singt. Er fordert jeden Partygast auf: „Sag mir, wo du stehst!“ Ich stehe am Intershop. Dort hält sich der Andrang in Grenzen. Es gibt nur einige verschrumpelte Süßigkeiten zu kaufen. Fotografen finden immer neue Bilder ungetrübter Lebenslust. Da, eine schwarzhaarige FDJlerin vor dem Ehrenbanner des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, eine Margon-Cola genießend. Ganze Kollektive kommen geschlossen im Blauhemd zur Party.

Ich setze mich in einen Strandkorb, strecke die Beine aus und lasse mir einen harten Ost-Rock um die Ohren wehen. Die „Tagesreise“; das war Horst Krüger. Puhdys und Silly. Plötzlich bricht die Musik ab. Eine russische Stimme kommandiert den Start einer Weltraumrakete. Es erklingt die Hymne der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Der Diskjockey, ein Hauptmann der NVA, begrüßt die Partygäste und verspricht „100 Prozent Ost- Rock“. Die Tanzfläche ist knackevoll. Detlef Krell