Sanssouci: Nachschlag
■ Der Premieren-Reigen an der Volksbühne ist eröffnet
Die produktionsfreudige Volksbühne eröffnete die Spielzeit am vergangenen Wochenende mit einer Doppelpremiere. Zwei gleichermaßen pessimistische, wenn auch unterschiedlich überzeugende Blicke werden hier auf die Gesellschaft geworfen, harte Nüsse gab's zu knacken, Kokosnüsse, die am ersten Abend dann auch gleich dem Programmzettel beigegeben wurden.
Im Haupthaus begann es mit „Othello“: Venedig ist ein finsteres Kanalufer, Zypern eine Art Sumpf, das Meer hat Platz in sieben Badewannen. Schön ist die Welt auch bei Shakespeare nicht. Aber hehr ist sie da, während in Andreas Kriegeburgs „Othello“- Inszenierung der Kleinmut durch die öden, feuchten Stätten von Bert Neumann dümpelt. Alle Figuren werden von ihrer banalsten Seite gezeigt, wodurch das Drama als mißlich, aber vermeidbar dargestellt wird: Desdemona heiratet Othello nicht etwa ungeachtet, sondern gerade wegen seiner schwarzen Haut. Und Othello benutzt die Tochter des einflußreichen Brabantio vor allem als Vehikel für sein Fortkommen. Er tötet sie, als er an ihrer Treue zweifelt, nicht aus Gerechtigkeitssinn, ja noch nicht einmal aus Eifersucht, sondern ganz schnöde aus gekränkter Männlichkeit. In einer solchen Tragödie der Eitelkeit kann nur einer der Held sein, der einzige auch bei Shakespeare durch und durch infame Charakter: Jago.
Tatsächlich gehört der Abend Bruno Cathomas, dessen Jago der passende Drahtzieher einer Welt ist, in der man beim Wort „Liebe“ hysterisch zu zucken anfängt, in der Pathos bestenfalls beiläufig genuschelt wird und in der der Krieg als Mutprobe für pubertierende Jünglinge fungiert – wie die Lemminge purzeln sie im Schlamm übereinander und können noch nicht einmal sterben. Jago ist schlau aus Schwäche und intrigant aus Langeweile. Bruno Cathomas, der virtuos mit seiner scheinbaren körperlichen Plumpheit spielt und als einziger mit erstaunlichem Stimmvolumen gelegentlich durch einen entschlossenen Tragödienton verblüfft, macht seinen Jago glaubhaft als einen verwöhnten Bengel, der mit Methoden des Kasperletheaters an die Macht kommen will: Wenn alle tot sind, bin ich König.
Kriegenberg zeigt egozentrische Sprößlinge einer Überdrußgesellschaft auf dem halbherzigen Weg nach Selbsterfahrung. Am Anfang schmiert Desdemona (Olivia Grigolli) Othello mit Nutella Gesicht und Hände braun und läßt sich von ihm schultern und wegtragen. Sie schafft sich das geeignete Objekt für eine Aussteigerliebe und trägt fortan geduldig das selbstgestrickte Schicksal einer „Mohrenfrau“. Othello wiederum (Peter Rene Lüdicke) hält ihren Körper bei der Hochzeit wie einen Schutzschild vor den seinen und kickt ihre Beine im Stechschritt nach vorne. Später versucht er das noch einmal, da aber ist sie schon tot und nützt ihm nur noch als Unterlage zum Schlafen. Und Jago, das böse-verwöhnte Spielkind, zieht Rodrigo (Stephan Richter) mit einem Gummiband den Mund in Dauergrinsstellung und wirft seine Frau Emilie (Susanne Wagner) wie eine Puppe in die Ecke. Solche Bilder stimmen. Dazwischen aber finden sich immer wieder lange Passagen geradezu läppischer Improvisationen, die den Schauspielern sicher Spaß machen, den Zuschauern aber weniger: Wasserspiele, Rutschpartien und dergleichen mehr. Da verschwimmen die Konturen.
Am Ende sitzt man beiläufig auf der Hinterbühne herum, während Lodovico, ein Verwandter Brabantios, erzählt, wie es bei Shakespeare jetzt eigentlich kommen müßte, bei Kriegenburg aber keineswegs kommt: Der Fiesling Jago bleibt ungeschoren, auch der übel verleumdete Cassio kommt nicht an die Macht. Soweit ist diese „Othello“-Variante schlüssig als Parabel über die Kleinheit und Folgenlosigkeit menschlichen Handelns. Aber es geht weiter. Jetzt schmiert sich Michael Günther alias Lodovico Nutella ins Gesicht und prophezeit mehrfach, mit ihm werde zu rechnen sein. Hebt der Regisseur hier etwa zu einer Schlußmoral an? Will er der Schwächlingsgesellschaft bedeuten, daß über die Fremden, die jetzt noch Teil ihrer überflüssigen Selbsterfahrungsspiele und gelegentlich Objekte kleiner Pointen sind („Amor, amor, amor“ singen die Damen, und dann wird Desdemona gefragt: „Apropos Mohr, wie geht's denn deinem Mann?“), bald das böse Gericht kommen wird? Will er sagen: „Jetzt wird's ernst“ oder gar „Wir alle sind Ausländer“? Fragen über Fragen.
Weitere kommen hinzu bei Ansicht von Peter Staatsmanns „Der Mutterschoß ist keine Einbahnstraße“ im 3. Stock. Auf engstem Raum hat er Stanislaws Witkiewiczs „Mutter“ mit Majakowskis „Wladimir Majakowski Tragödie“ (in der Fassung von Heiner Müller) verbunden. Das ist einmal die Alptraumgeschichte vom parasitären und leicht ödipalen Sohn, der – um angeblich revolutionäre Ideen zu entwickeln – auf Kosten seines alten Mütterchens lebt, ja noch Frau und Schwiegervater als Kostgänger ins Haus schleppt. Um selbständig zu werden, gibt er das Philosophieren und Politisieren dann auf, wird Waffenhändler und Gigolo und schickt seine Frau auf den Strich.
Veränderung: keine – jetzt saugt er eben die Gesellschaft aus. Der Rausch der „Idee“ wird ersetzt durch den Konsum. Dann Majakowskis expressionistische Miniatur, die das Hervorbrechen der kommunistischen Revolution, ihren Übergang in autoritäre Strukturen und schließlich den Umschlag ideeller in materielle Werte skizziert. Was zeigt uns das? Daß gesellschaftliche Entwicklung unmöglich ist, weil der Mensch von Natur aus ein Vampir und Aasfresser ist? Daß die Revolution ihre Mütter frißt, Placenta immer nur umbenannt wird? Mit – unter anderen – Rosemarie Bärhold und Jeannette Spassiwa als doppelter Mutter und Klaus Birkefeld als Unglückssohn hat Staatsmann das groteske Witkiewicz-Spiel unerquicklich müde in Szene gesetzt und die Majakowski-Verse gar nur deklamieren lassen. Von szenischer Sinnfälligkeit hier keine Spur... Petra Kohse
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: „Othello“ (Regie: Andreas Kriegenburg) am 10. und 23. September, 19.30 Uhr; „Der Mutterschoß ist keine Einbahnstraße“ (Regie: Peter Staatsmann) am 7., 8., 10., 22. und 28. September im 3. Stock, 20Uhr
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