Auf Gymnasien kaum repräsentiert

■ Nur wenige der in Berlin aufgewachsenen türkischen Jugendlichen schaffen das Abitur / Enormer psychischer Druck / Abgrenzung zwischen Ost- und Westjugendlichen nur wenig zurückgegangen

Die jungen in Deutschland geborenen TürkInnen haben heute ein ähnliches Problem wie die deutschen Arbeiterkinder in den sechziger Jahren. An den Hauptschulen sind sie überrepräsentiert, in den oberen Klassen der Gymnasien hingegen kaum zu finden. Nur damals führte dieser Bildungsnotstand zu einer Umstrukturierung des Schul- und Förderwesens, heute hingegen überläßt man die Förderung vom Emigrantenkindern privaten Initativen.

Zum Beispiel dem BTBTM, dem Türkischen Wissenschafts- und Technolgie-Zentrum an der Technischen Universität. Seit einem Jahr ist sie Trägerin eines Projekts namens „Zweite Generation“. Es richtet sich an nichtdeutsche Schüler in der gymnasialen Oberstufe, die als Abschlußziel das Abitur anstreben, aber Gefahr laufen, dieses nicht zu bestehen. Denn es ist „erschreckend“, sagt Projektleiterin Havva Engin, wie hoch die Abbrecherquote in den weiterführenden Schulen sei. Von den über 25.000 türkischen Schülern des Jahres 1992 besuchten 28,5 Prozent ein Gymnasium oder eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, aber nur insgesamt 219 Schüler erlangten tatsächlich auch die Hochschulreife. Von den deutschen Schülern bestanden hingegen 31,8 Prozent das Abitur. „Die türkischen Schüler sind nicht dümmer als andere auch“, sagt Projektleiterin Havva Engin, aber der enorme psychische Druck „wirft sie im Unterschied zu den deutschen Schülern meistens in der 11. Klasse aus der Bahn“.

Schwerpunkt ist der Deutsch- Unterricht, denn ein Hauptproblem für die zweisprachig aufgewachsenen Schüler ist die Orthographie. Die Normalität sei, sagt Havva Engin, daß ein Schüler beispielsweise eine mathematische Lösung per Formel aufzeigen, diese aber nicht erklären könne. Die Fachsprache sei generell bei den in Berlin geborenen und hier aufgewachsenen Einwandererkindern unter Niveau und führe letztlich dazu, daß die Schüler sich kaum am mündlichen Unterricht beteiligen. „Das ist eine Spirale nach unten“, sagt Co-Koordinatorin Dilek Kolat, „und die Lehrer sehen passiv zu.“ Inzwischen nehmen an den täglich stattfindenden Kursen bis zu 20 Schüler teil. Die Anzahl der Mädchen ist inzwischen auf fast 40 Prozent gestiegen. Das Projekt, einmalig in Deutschland, wird mit 12.000 Mark pro Jahr von der Ausländerbeauftragten Barbara John gefördert. Anmeldungen sind beim BTBTM jeden Mittwoch von 14 bis 18 Uhr unter der Nummer 314 24 800 möglich.

Mauer noch im Kopf

Im Kopf der Berliner Jugendlichen ist die Mauer immer noch präsent. Das hat eine Befragung von 1.200 Schülerinnen und Schülern im Alter zwischen 13 und 16 Jahren in beiden Teilen der Stadt ergeben. Die Studie „Schuljugendliche in Berlin“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des FU-Instituts für Erziehungswissenschaften und des Zentrums für europäische Bildungsforschung. Die gestern vorgestellten Ergebnisse basieren auf drei Befragungen, die zwischen Ende 1990 und dem ersten Schulhalbjahr 1992/93 in 7. bis 10. Klassen in Lichtenberg und Chralottenburg durchgeführt wurden. Demnach verlassen mehr als die Hälfte der Jugendlichen ihren engeren Kiez mindestens einmal pro Woche, ein Drittel aber nur selten. „Die Abgrenzung zwischen Ost und West“, so der Initiator der Studie, Professor Hans Merkens, „ist unter den Jugendlichen nach wie vor sehr hoch.“ Nur ein Drittel der Jugendlichen habe im anderen Teil der Stadt soziale Kontakte. Westberliner meideten den Ostteil allerdings noch mehr als umgekehrt. Die Folge: Die Vorurteile bei den Ost- und Westberliner Jugendlichen hätten sich im Befragungszeitraum verfestigt. Beide sähen sich wechselseitig als aggressiv an. Mit 60 Prozent gleich stark beseelt die Jugendlichen beider Stadthälften der Wunsch, für längere Zeit ins Ausland zu gehen oder gar auszuwandern. Für Merkens ist dies Ausdruck einer normalen Jugendmobilität, die jedoch durch die zunehmende Angst vieler befragter Mädchen und Jungen vor Gewalt, Ausländerfeindlichkeit und Umweltzerstörung verstärkt werde. Der Berliner Jugendliche per se sei weder ein Ausländerfeind noch sonstwie verroht, sei tolerant und fühle sich im Schoß der Familie wohl. Im Ostteil der Stadt hätten immer noch die Väter bei familiären Entscheidungen das Sagen, während im Westteil die Mutter das letzte Wort habe. Die sozialen Ängste der Ostberliner Jugendlichen hätten zugenommen, während Westberliner Jugendliche häufiger meinten, auch ohne Arbeit glücklich zu werden. aku/plu