Tyrannosaurus „S“ Von Mathias Bröckers

Keine Angst, dies ist trotz der Überschrift kein weiterer Akt der Mediengleichschaltung, mit der Hollywoods animierte Plastik- Saurier zur Zeit alle Kulturkanäle verstopfen. Die Dinos in den Kinos interessieren nicht die Bohne, wo doch leibhaftige High-Tech-Saurier gleich rudelweise zu besichtigen sind: In Frankfurt ist Automobilausstellung! Zwar werden die Hersteller nicht müde, ihre Produkte als innovativ und zukunftsträchtig anzupreisen und ihnen „Vorsprung durch Technik“ zu attestieren, genau betrachtet ist es jedoch die größte Fossilien-Schau der Welt, die dort über die Bühne geht. Der größte Stand der IAA ist alljährlich das Frankfurter Kreuz, wo sich die Saurier-Fans mit ihren Urzeit-Vehikeln erst einmal die Reifen platt stehen müssen, um irgendwann einen Blick auf die Neukreationen zu werfen, mit denen sie auch zukünftig im Stau stehen sollen.

Am Samstag morgen beim Bäcker kaufte mein Vordermann vier Schrippen und stieg dann in sein in zweiter Reihe geparktes Daimler- Schiff ein: gut 200 PS, um vier Brötchen um zwei Ecken zu transportieren. Hätte irgendein Adeliger im 17. Jahrhundert für einen solchen Transport regelmäßig zwölf Pferde anspannen lassen, wäre der Nachruhm dieses durchgeknallten Dekadenzlings sicher zu uns durchgedrungen. Aber so verrückt waren damals nicht einmal die verrücktesten Feudalfürsten – heute ist diese Verrücktheit völlig normal. Es ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen, gewaltige Pferdestärken auf Knopfdruck zu mobilisieren, daß wir diese Gewohnheit gar nicht mehr hinterfragen.

Unlängst wurde im Fernsehen der Film „Am Anfang war das Feuer“ wiederholt, der ohne Worte und hochdramatisch zeigt, welche entscheidende Rolle das Feuer für die Entwicklung der Primaten spielte. Es war die Technik, die ihnen den entscheidenden Vorsprung vor allen anderen Arten sicherte. Und wie die Säbelzahntiger an ihrem Evolutionsvorsprung, den immer größer werdenden „Säbeln“, zugrunde gingen, scheinen auch die domestizierten Primaten ihre Überlegenheit nicht in den Griff zu bekommen: Sie feuern immer fanatischer aus allen Auspuffrohren und verwandeln die Biosphäre systematisch in einen giftigen Backofen.

Wenn sich die Halbaffen in Arnauds Film schmatzend und grunzend freuen, weil der Hüter der Flamme ihr Überlebenslicht durch Pustetechnik gerade noch einmal gerettet hat, ist das anrührend und verständlich. Doch wer hätte damals gedacht, daß 100.000 Jahre später auf der Internationalen Autofossilschau zivilisiert grinsende Manager auf tonnenschwere Zwölf-Zylinder-Limousinen anstoßen? Sich also immer noch mit einer geradezu affigen Naivität über ihre Kunst der Feuerbeherrschung – 10.000 elektronisch gesteuerte Zündfunken pro Minute – freuen? Sie glauben immer noch an ihren Vorsprung, obwohl der tödliche Nachteil – die Dunstglocke über ihren Köpfen ist unübersehbar – geworden ist. Bevor der Einschlag eines Himmelskörpers die letzten Saurier hinwegraffte, waren Tyrannosaurus rex und Co. schon einige Millionen Jahre auf einem steil absteigenden Ast. Diagnose: zuviel Panzer, zu wenig Hirn. Für die automobilisierten Primaten gilt heute das nämliche: zuviel PS, zuwenig IQ.