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Über den Tellerrand schauen

Leander Haußmann, derzeit noch frei flottierendes Regie-Jung-Talent, macht Karriere: Er soll bald dem Bochumer Schauspielhaus als Intendant zu neuem Glanz verhelfen. Mit ihm sprach  ■ Petra Kohse

taz: Sie werden ab der Spielzeit 1995/96 die Intendanz des Schauspielhauses in Bochum übernehmen und damit Frank-Patrick Steckel ablösen. Sie arbeiten erst wenige Jahre als Regisseur. Ist das nicht ein bißchen früh für so einen verantwortungsvollen Posten?

Leander Haußmann: Wie alt muß man sein, um Intendant zu sein? Soviel ich weiß, sind die bewährten Intendanten alle sehr früh eingestiegen, Peymann, Zadek ... Der Ruf ist doch sehr laut danach, daß man nun endlich ein paar Veränderungen vornimmt in den Theatern und daß sich die Leitungen verjüngen ... Und wenn's dann passiert, dann höre ich von allen Seiten, daß ich doch sehr jung bin. Ich bin dann 36. Da ist man, glaube ich, nicht mehr so jung. Ich denke, es ist genau das richtige Alter, um das zu machen. Ich weiß gar nicht, was die alle wollen. Ich sitze nun hier, bin vorgeschlagen, habe angenommen, und es geht eine Presselawine los ... Der C. Bernd Sucher von der Süddeutschen Zeitung wirft mir auch vor, daß ich's noch nicht gemacht habe. Natürlich habe ich das noch nicht. Jeder muß doch irgendwann mal anfangen. Peymann war doch auch nicht immer schon Intendant. Was mich so ärgert, ist, was vor allem ältere Herrschaften machen: dieses Sich- Zurücklehnen und sagen: „Das wird nischt.“ Eigentlich müßte man begrüßen, daß ich die Intendanz in Bochum übernehme. Und man müßte sofort fordern, daß alle Häuser von unter 40jährigen übernommen werden. Gerade jetzt, wo über Strukturveränderungen gesprochen wird. Es sollen die ran, die noch nicht soviel verdienen und die noch nicht so satt sind.

Wann stand für Sie fest, daß Sie Intendant werden wollen?

Das Angebot aus Bochum kam erst vor einigen Monaten. Aber ein Haus leiten wollte ich von Anfang an. Deshalb wird man doch Regisseur.

Warum, glauben Sie, will man Sie in Bochum?

Ich weiß nicht, ob Bochum mich will. Es gibt da ein paar Leute, die mich ausgesucht haben. Ob Bochum mich will, kann man sicherlich erst in drei Jahren entscheiden, wenn ich da etwas gemacht habe.

Und warum wollen Sie nach Bochum? Ihr Lebens- und Arbeitsschwerpunkt war bisher Berlin. Wäre für Sie ein Angebot von dort – von wo auch immer – attraktiver gewesen? Steckte hinter Ihrer Entscheidung auch so ein bißchen der Gedanke: Wer weiß, wann es wieder eine Vakanz gibt?

Vielleicht. Aber ich bin auch berlinfrustriert. Ich würde gerne aus dieser derzeit sehr unkonzentrierten Stadt rausgehen. Ich halte mich außerdem noch nicht für regiefertig, und Berlin braucht fertige Regisseure, die das, was sie in der sogenannten Provinz erprobt haben, in Berlin anbieten.

Kennen Sie das Bochumer Schauspielhaus?

Ich habe mir das Haus angesehen. Inszeniert habe ich dort noch nicht.

Ist eine Inszenierung geplant? Oder wenigstens Gastspiele einer oder mehrerer Ihrer Produktionen? Zum Kennenlernen?

Geplant ist bisher noch nichts. Gastspiele würde ich sehr begrüßen. Jetzt habe ich erst einmal mit Steckel Kontakt aufgenommen.

Gibt es Intendanten, an denen Sie sich orientieren?

Claus Peymann ist der genialste Intendant des deutschsprachigen Theaters, weil er sehr professionell die verschiedensten Stilrichtungen in seinem Haus vereint und auch Beunruhigung in eine Stadt bringt, ohne das Auge für die Verantwortung für so ein Haus zu verlieren. In Bochum zum Beispiel hat er einiges bewirkt.

Man hätte wohl kaum gedacht, daß Sie schon konkrete Pläne haben, da die Intendanz ja erst in zwei Jahren beginnt. Nun hört man aber, daß Sie „Europäisches Theater“ machen wollen. Meinen Sie damit ein Theater, wie Peter Brook es macht, mit einem internationalen Ensemble?

Vielleicht. Ich habe eigentlich noch kein Konzept, und das kann sich jetzt auch großmäulig anhören, und nachher kann ich das gar nicht einlösen. Aber auf jeden Fall will ich über den Tellerrand schauen und beispielsweise Regisseure unterschiedlicher Nationalitäten fest an ein Haus binden und mit ihnen fünf Jahre arbeiten. Ich habe da noch nichts Bestimmtes im Sinn, ich habe ja auch noch Zeit, aber ich möchte gerne eine Arbeitsgruppe bilden und die alte Frage wieder stellen, um die es schon seit Jahrhunderten geht: Was ist eigentlich Theater? Das ist ein Wunschtraum, eine Idee, ich will meinen Horizont erweitern. Für die Schauspieler ist das auch von Nutzen und für Bochum ein Angebot.

Sehen Sie Ihrer Intendantenzeit rückhaltlos freudig entgegen? Oder gibt es da auch Befürchtungen?

Eigentlich nicht. Ich werde viele Freunde mitnehmen und dadurch auch meine Heimat verlagern, indem ich die, mit denen ich immer schon gearbeitet habe, um mich habe. Damit umgibt man sich ja auch mit einer Mauer von Leuten, die an einen glauben. Dadurch schützt man sich vor denen, die es ja immer gibt und die darauf lauern, daß man scheitert. Nehmen wir das Beispiel, als Gosch zur Schaubühne kam. Ich habe damals im Osten gelebt und bekam nur die Pressemeldungen, und die waren so faschistoid, daß ich dachte, das hat doch eigentlich kein Mensch verdient. Das war eine Hetze, die einem schon Angst machen kann.

Was heißt es für Sie, Intendant zu werden im Zeitalter der Sparmaßnahmen im kulturellen Bereich? Werden Sie die Möglichkeiten nutzen, Ihren Einstieg mit einer „Strukturreform“ zu verbinden, von der ja momentan so gerne gesprochen wird?

Bochum ist nicht Berlin. Jede Stadt außerhalb von Berlin identifiziert sich mit ihrem einen Theater. Das ist auch im Ruhrgebiet so – trotz der Theaterdichte dort. Natürlich werden wir mit Einsparungen umgehen müssen, aber das Theater wird nicht gleich zur Debatte stehen, wie das mit dem Schiller Theater passiert ist. Eine sinnvolle Möglichkeit der Strukturreform wäre die Eigenbetrieblichkeit, so daß auch die finanzielle Verantwortung auf die Theatermacher übergeht. Da wird man sich dann schon überlegen müssen, ob man einen Pfosten mit Blattgold streicht. Ich glaube, daß es auch dem Zuschauer unsympathisch ist, wenn das Theater so einen Reichtum ausstrahlt. Außerdem darf niemand wahllos ans Haus geholt werden wegen einer Rolle, und dann bleibt er da hängen und spielt nichts mehr. Der Apparat muß arbeiten und zwar ständig. Ich würde mir gerne auch einen jungen Autor fest ans Haus binden wollen. Ein Dramaturg zum Beispiel müßte auch schreiben können. Ich brauche keinen Theaterwissenschaftler. Alle, die am Theater arbeiten, müssen etwas Praktisches für den Abend beitragen können.

Es gibt ja einige Beispiele regieführender Intendanten, deren Amtszeit mit hemmungslosen Etatüberziehungen geendet hat, wie die von Hans Neuenfels an der Freien Volksbühne in Berlin. Sind Sie in dieser Hinsicht gefährdet?

Bestimmt. Ich selbst kann mit Geld nicht so gut umgehen, aber ich habe dafür ja jemanden, und der sagt mir, wieviel ich ausgeben darf, und darüber geht auch nichts mehr. Und wenn es einen Künstler gibt, der auf bestimmten Sachen besteht, weil er sonst gar nicht arbeiten kann, dann muß ich ihm gegebenenfalls eben mehr geben, auch wenn es zu meinen eigenen Lasten geht. Ich bin ja schließlich für das Haus verantwortlich.

Sie haben eben erwähnt, daß Sie einen Hausautor am Theater haben wollen, was ja heute eher selten ist. Haben Sie da schon genaue Vorstellungen? Wie halten Sie es überhaupt mit der Gegenwartsdramatik? Bisher haben Sie sich beim Inszenieren eher auf Klassiker kapriziert.

Ich bin mit einem sehr bekannten Autor im Gespräch, dessen Namen ich jetzt noch nicht nennen will und von dem ich mir zur Eröffnung in Bochum gerne eine Uraufführung schreiben lassen will. Ich hätte gerne etwas Programmatisches, was auch etwas über uns erzählt, wie wir dort arbeiten wollen. Generell bin ich an Gegenwartsdramatik schon interessiert. Spannend finde ich nach wie vor Botho Strauß. Das klingt langweilig, weil der ja schon etabliert ist, aber ich habe ja mal „Angelas Kleider“ gemacht (1991 in Graz zum Steirischen Herbst, d. Red.), was ja leider zurückgezogen worden ist, obwohl es so eine Art „Faust“ dieser Zeit ist. Auch Heiner Müllers Stücke, wenn ich mir erlauben darf, ihn zu den Gegenwartsautoren zu zählen, finde ich spannend. Oder Rainald Goetz. Ihn halte ich für einen wirklich Verrückten, der Zeitspezifisches mitzuteilen hat. Dann gibt es noch einen Autor, der nicht so bekannt, sehr gut, aber schwer zu spielen, das ist Jochen Berg. Der hat „Strangers in the Night“ geschrieben, was Frank Castorf an der Volksbühne aufgeführt hat. Ich würde mich natürlich am meisten freuen, wenn einer auftaucht, den ich entdecken kann und bei dem ich sage: Mein Gott, wo warst du so lange?

Wie wollen Sie den entdecken?

Ich lese die Manuskripte, die ich geschickt bekomme, und das sind nicht wenige. Und dann gibt es ja noch den glücklichen Zufall. Wenn man mal gerade nicht sucht. Das ist so wie mit der Liebe.

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