Unheilbare Hirnkrankheit durch Implantate?

■ Deutsches Pharma-Unternehmen soll todbringendes Transplantat verkauft haben / In Großbritannien verboten, in Deutschland immer noch auf dem Markt

Dublin (taz) – Ein Fertigtransplantat des deutschen Pharmaunternehmens B. Braun aus Melsungen ist offenbar der Auslöser für zahlreiche Fälle der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit (CJK). Das Produkt mit dem Namen „Lyodura“ wird bei Schädeloperationen verwendet, um das Gehirn bei dem Eingriff zu schützen. Das Transplantat, das aus einem Teil der Hirnhaut besteht, wird aus Leichen gewonnen – darunter vermutlich auch Menschen, die an CJK gestorben waren. Mit dem Transplantat wurde so auch die unheilbare Krankheit übertragen.

Bisher sind zehn Menschen, die Lyodura-Implantate erhalten hatten, an CJK gestorben – drei davon in Großbritannien. Die Eltern eines der Opfer haben die Firma Braun inzwischen verklagt. Brian Bowler hatte sich im Alter von 16 Jahren einer Hirnoperation unterzogen, um ein angeborenes Hinken zu korrigieren. Er starb mit 31 Jahren im November 1989 an CJK. Britische Ärzte haben bestätigt, daß Lyodura der Auslöser für die Krankheit war.

Das Produkt wird seit 1971 in Großbritannien verwendet. Schon damals gab es jedoch Hinweise, daß CJK durch infiziertes Hirngewebe übertragen werden kann. Doch erst 1981 erließ das britische Gesundheitsministerium eine neue Richtlinie. Seitdem darf Hirngewebe von Toten, die an CJK gestorben sind, nicht mehr in der pharmazeutischen Produktion benutzt werden. Dennoch erhielt Lyodura weiterhin ohne Kontrolle die Lizenz. Braun nahm das Präparat vor zwei Jahren vom britischen Markt – aus wirtschaftlichen Gründen, sagte Brauns Vertriebsdirektor Gerhardt Meil. Das Gesundheitsministerium in London behauptet dagegen, daß dem Produkt schließlich die Lizenz entzogen worden sei. In Deutschland werden nach wie vor etwa 10.000 „Lyodura“-Transplantate im Jahr verkauft.

Wie Meils angab, sei die Firma Braun trotz früherer wissenschaftlicher Untersuchungen erst seit 1986 auf den Zusammenhang zwischen Lyodura und CJK aufmerksam geworden. Seitdem würden die Spender besonders sorgfältig ausgewählt und das Transplantat seit Mitte 1987 einer Sonderbehandlung unterzogen, um ein mögliches Übertragungsrisiko auszuschließen. Ein Patient, der noch im Februar 1987 Lyodura erhalten habe, sei an der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit gestorben. Allerdings sei nicht geklärt, ob das Transplantat die Infektionsquelle war.

Bei der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit vergehen Jahre bis Jahrzehnte von der Ansteckung bis zum Ausbruch, in denen es keine Anzeichen einer Störung gibt. Wahrscheinlich gibt es spontane, erbliche und ansteckende Formen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ein körpereigener Eiweißstoff, das Prionprotein. Bei CJK – genauso wie bei der Rinderseuche BSE und der Traberkrankheit bei Schafen – bildet dieses Prionprotein Fasern, die die Zellen schädigen und so zu schwammartigen Löchern im Gehirn führen. Diese Fasern aus körpereigenen Stoffen, sogenannte Amyloide, treten übrigens auch bei der Alzheimerkrankheit auf. Umstritten ist noch, ob das veränderte Prionprotein eine Nukleinsäure als Erreger enthält, oder ob es selbst der Erreger ist. Das wäre allerdings eine Sensation: Ein Erreger aus reinem Protein ohne Erbsubstanz ist bisher unbekannt. Ebenso umstritten ist es, ob die Rinderseuche BSE auf Menschen übertragbar ist.

Fest steht dagegen seit Jahren, daß CJK durch infizierte Hormone übertragen werden kann. Von 1.908 britischen Kindern, die zwischen 1956 und 1985 mit Wachstumshormonen behandelt wurden, sind neun später an CJK gestorben. Dennoch hat das Gesundheitsministerium erst in der vergangenen Woche zugegeben, daß auch für Frauen ein Risiko besteht, die sich wegen Unfruchtbarkeit einer Hormontherapie unterzogen haben. In Australien sind vier Frauen gestorben, die einen Extrakt aus den Hirnanhangdrüsen Verstorbener erhalten hatten. Das Londoner Ministerium sucht jetzt dringend die etwa 300 britischen Frauen, denen das Präparat zwischen 1956 und 1985 verabreicht worden ist. Ralf Sotscheck