Hochzeit nach drei Jahren Verlobung

■ Renault – Volvo: Fusion des Jahrhunderts oder letzter Atemzug der schwedischen Automobilindustrie?

Stockholm (taz) – In der Rangfolge der europäischen Autofirmen gibt es seit gestern eine neue Nummer zwei. Hinter die Volkswagengruppe hat sich die „Volvault“ geschoben – wie in Branchenkreisen der Zusammenschluß von Renault und Volvo genannt wird. Während die schwedische Presse gestern von der „Auto-Fusion des Jahrhunderts“ schwärmte, war die Stimmung unter den Beschäftigten der Volvo-Fabriken eher skeptisch: Ob da nicht etwa das letzte Kapitel eigenständiger schwedischer Autoherstellung aufgeschlagen wurde? Nicht „Volvault“, sondern allenfalls „Renauvo“ sei das Ergebnis des Zusammenschlusses.

Nach der Fusion werden sich die Schweden mit einer Chefposition für den früheren Volvo-Chef Pehr Gyllenhammar begnügen müssen. Das eigentliche Sagen wird in Zukunft aber Paris haben. 65 Prozent der Anteile der neuen Firma liegen bei Renault, nur 35 bei Volvo. Aber selbst dies ist noch ein recht vorteilhaftes Modell für Volvo, betrachtet man die Produktionszahlen von Volvo und Renault: 350.000 zu 2 Millionen.

Volvo blieb, um zumindest mittelfristig zu überleben, nur der Weg von der Verlobung zur Heirat. 1990 hatte der Deal zwischen beiden Firmen mit dem gegenseitigen Kauf von Anteilen und einer ersten engen Zusammenarbeit auf dem Einkaufs- und Entwicklungssektor begonnen. Beide Bereiche machen ein Zusammengehen von Renault und Volvo zu einem sinnvollen Geschäft, denn hier liegen die letzten Einsparungsmöglichkeiten bei einer Branche, deren Absatzzahlen in Europa in einem Jahr um ein Fünftel zurückgingen.

Von den sechs europäischen Autoherstellern, die auf dem Markt der Kleinwagen, Kompakt- und Mittelklassewagen konkurrieren, macht derzeit nur Opel einigermaßen gute Gewinne. Diese landen aber zum Teil bei der Schwesterfirma Saab in Schweden, um deren Verluste auszugleichen. VW, Renault, Peugeot, Fiat und Ford machen kaum Gewinne oder schreiben gar rote Zahlen. Renaults Gewinne sind im ersten Halbjahr mit atemberaubender Geschwindigkeit in den Keller gefahren, und Volvos Bilanz schloß mit tiefroten Zahlen. Die Schweden mußten die Stillegung von zwei ihrer topmodernen Autofabriken ins Auge fassen.

Ob das Zusammengehen zweier Fußkranker zu einem gesunden Unternehmen führt, ist jedoch die Frage. Als Trumpfkarte betrachtet man in Paris, nunmehr eine breite Produktpalette vom Kleinwagen zur Luxuskarosse bieten zu können. Doch auf der diese Woche beginnenden Automesse in Frankfurt werden vermutlich sowohl Mercedes als auch BMW Modelle vorstellen, die auf den unteren Mittelklassesektor zielen; damit decken diese Hersteller dieselbe Bandbreite ab.

150.000 Beschäftigte im europäischen Automobilsektor werden in den nächsten zwei Jahren entlassen werden, wird in der Branche geschätzt. In Schweden befürchtet man, daß ein nicht unerheblicher Anteil aus dem schwedischen Teil von „Volvault“ kommen wird. Reinhard Wolff