Ein neues Gesetz mit Ächtungswirkung

■ Sexueller Mißbrauch in der Therapie soll strafbar werden     Von Annette Bolz und Sannah Koch

Beweise gab es genügend: An die hundert Fotos, die dokumentierten, daß der Hamburger Psychotherapeut Peter Sch. seine Patientinnen jahrelang sexuell mißbraucht hatte. Doch juristisch belangen konnte man ihn trotz mehrerer Anzeigen der Frauen nicht: Es fehlt ein entsprechender Paragraph im Strafgesetzbuch (StGB). Das soll sich nun ändern. Auf Initiative von Hamburgs Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit reicht der Senat jetzt einen neuen Gesetzesentwurf in den Bundesrat ein.

Danach soll ein „Arzt, Zahnarzt, Berufspsycholge oder ein nach dem Heilpraktikergesetz die Heilkunde Ausübender“ mit bis zu fünf Jahren Freiheits- oder Geldstrafe belangt werden, wenn er „unter Mißbrauch einer durch die Behandlung begründeten besonderen Abhängigkeit sexuelle Handlungen an einer von ihm behandelten Person vornimmt (...)“. Juristendeutsch, das auch künftig die Beweisschwierigkeiten vor Gericht nicht gänzlich ausräumen wird, wie die Senatorin gesteht.

Da ist zunächst das Problem der Einwilligung der Frauen: Nur in den seltensten Fällen muß ein Therapeut, der es darauf anlegt, seine Klientinnen zu sexuellen Handlungen zwingen. Es ist vielmehr die Abhängigkeit, das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Behandelndem und Patientin, das Therapeuten gezielt für ihre sexuellen Interessen ausnutzen. Und das Klientinnen zunächst glauben läßt, in dem Therapeuten endlich einen verständnisvollen Partner gefunden zu haben. Ein Mißbrauch, der sich nach dem herrschenden männlichen Juristendenken weder unter Vergewaltigung, Nötigung oder Körperverletzung summieren läßt. Für absolute Klarheit wird da auch der neue Paragraph 174c nicht gänzlich sorgen können. Dies räumt selbst die Senatorin ein: „Die Richter werden wohl mit Hilfe von Gutachtern prüfen müssen, ob eine besondere Abhängigkeit vorlag.“

Auch daß sie mit ihrem Gesetzentwurf „nicht alle Fische ins Netz bekommt“, weiß Lore Maria Peschel-Gutzeit. Die Definition des Täterkreises ist noch zu vage. „Aber wir haben einen Anfang gemacht, wir werden Tabus brechen“, betont die Justizsenatorin. Denn vor allem verspricht sie sich von ihrer Initiative eine „Ächtungswirkung“: „Auch wenn ein Arzt im Einzelfall mal nicht bestraft werden kann, so wird er durch die Anklage jedenfalls erheblich in seinem Ansehen herabgesetzt.“

Daß dies auch nottut, zeigen erste bundesdeutsche Erkenntnisse zu dem Problemfeld. So fand Dr. Imgard Vogt im Auftrag der Suchtkrankenhilfe heraus, daß rund 30 Prozent aller Suchttherapeuten mit ihren Klientinnen sexuell vekehrt hatten. Zu ähnlichen Schätzungen kommt der Berufssverband Deutscher Psychologen (BDP). Die Hamburger Forscherinnen Eva Arnold und Anita Retsch deckten auf, daß unter Verhaltenstherapeuten zehn Prozent sexuelle Kontake mit ihren Patientinnen völlig in Ordnung finden. Die Hälfte erzählt den Patientinnen, daß sie sie attraktiv finden und ein Viertel der befragten Psychologen teilen den Frauen sogar mit, daß sie sie begehren.

Sexuellen Mißbrauch durch Therapeuten nicht länger als Kavaliersdelikt zu behandeln, dies hatte die grüne Abgeordnete Krista Sager bereits im Herbst 1991 vom Senat gefordert. Die GAL-Fraktion hatte den Fall Peter Sch. damals öffentlich gemacht (taz berichtete) und ihn im Parlament debattiert. Damals hatte der SPD-Senat noch durch männliche Ignoranz geglänzt: Auf die GAL-Anfrage hatte er geantwortet: „Der Schutz gegen sexuellen Mißbrauch in der Therapie ist durch verschiedene strafrechtliche Bestimmungen und standesrechtliche Regelungen ausreichend gewährleistet.“ Außerdem hätten die zuständigen Stellen bewiesen, daß sie die „Problematik mit den notwendigen Fachkenntnissen und der gebotenen Sensibilität sachgerecht“ behandelt haben. Doch von der Antwort schien selbst die Justizsenatorin nicht überzeugt. „Nach der Debatte habe ich mich entschlossen, in der Sache etwas zu unternehmen“, sagt sie heute. Gestern passierte ihr Entwurf ohne Gegenstimmen den Senat. Auf Antrag der Innenbehörde wurde er jedoch präzisiert: Bei dem Vergehen soll es sich jetzt um ein „qualifiziertes Antragsdelikt“ handeln. Danach muß die mißbrauchte Frau den Mißbrauch bei der Polizei zur Anzeige bringen, aber in gravierenden Fällen kann die Strafverfolgungsbehörde auch von selbst die Ermittlungen aufnehmen. Die Senatorin ist zuversichtlich, daß ihr Gesetzentwurf den Bundestag noch in diesem Jahr erfolgreich passieren wird. Dann allerdings könne er im „Bermudadreieck Bundestag“ verschwinden, wenn nicht genügend öffentlicher Druck erzeugt werde. „Immerhin, so hofft sie, „muß auch der Bundeskanzler vor der nächsten Wahl etwas für die Frauen tun.“

Solange wird der rechtsfreie Raum jedoch weiter existieren. Derzeit ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft wieder gegen einen Therapeuten – mangels verfügbarer Rechtsgrundlage wegen Körperverletzung. Peter Sch. konnte sich vor zwei Jahren glimpflich aus der Affäre ziehen: Er mußte zweimal eine Geldbuße zahlen. Nach einjähriger Zwangspause praktiziert er heute wieder als Internist.