Eine Wagenburg für Michael Jackson Von Andrea Böhm

Die wöchentliche Frage an dieser Stelle: Was bewegt dieser Tage die Gemüter in den Vereinigten Staaten von Amerika? Ein schneller Blick von West nach Ost ergibt ein Bild der Zerrissenheit: in Kalifornien schreien sie Zeter und Mordio gegen Immigranten; in Iowa mußten die Leute nach Dauerregen schon wieder Sandsäcke stapeln; in New York bleiben für eine Million Kinder die Schulen wegen Asbest geschlossen; und in Miami warten alle auf Castros Sturz.

Was dieses Land eigentlich noch zusammenhält, fragen Sie? Ganz einfach: Michael Jackson. Daß der Megastar zur Zeit gar nicht in den USA, sondern im fernen Asien weilt, spielt dabei nicht die geringste Rolle.

Einer, der sich mit Hilfe der Gesichtschirurgen, einer sich wandelnden Pigmentierung und einer Vorliebe für Märchenparks über alle Geschlechter-, Alters- und Rassenschranken hinwegsetzt, ist immer präsent. Michael Jackson ist, wir wissen es längst, zudem ein Wohltäter für Kinder von Bukarest bis Buffalo. Kein böser Halbwüchsiger mit Goldketten und Sonnenbrille, der mit vulgärer Sprache und vulgärer Gestik etwas von brennenden Straßen in South Central L.A. rappt. Sondern ein neuer Peter Pan im glitzernden Outfit eines Operettengenerals mit blitzsauberen Texten, blitzsauberem Make-up. Der bekannte, blitzsaubere Griff an die Hose ist genauso Teil seiner jugendfreien Choreographie wie das Moon Walking. Ein Peter Pan oder ein Michael Jackson kann gar keine Sexualität haben. Ergo kann ein Michael Jackson auch keinen dreizehnjährigen Jungen sexuell mißbrauchen – auch wenn sie zusammen in einem Bett geschlafen haben. Das meinen jedenfalls die amerikanischen TV-Zuschauer, die von den Produzenten einschlägiger Klatsch-und-Tratsch-Sendungen befragt wurden, ob ihnen die anfangs skandalgeile Berichterstattung im Fall Jackson gefiele. Die Umfrage ergab, daß das Fernsehvolk doch lieber seinen reinen, unschuldigen Michael Jackson haben wollte.

Anstatt sich ein neues Volk zu suchen, änderte das Fernsehen die Berichterstattung. Michael Jackson ist natürlich verhaltensgestört und mittlerweile schon so entrückt von dieser Welt, daß sein Marktwert als Werbeträger langsam sinkt. Aber er ist so amerikanisch verhaltensgestört, daß ihn seine Landsleute so schnell nicht hängenlassen.

Jetzt überschlagen sich die Bilder von Hollywoodprominenten, angefangen bei Elizabeth Taylor über Whoopi Goldberg und Peter Gabriel bis zu verschiedenen Rapstars, die sich wie eine Wagenburg um den Megastar formieren. Vorsicht, zerbrechlich, heißt die Devise. Einem Wesen von solch fragiler Statur und mit so traurigem Blick, noch trauriger als der von Marilyn Monroe – einem solchen Wesen darf man nicht so zusetzen. Solange dieser Mann, der nie eine Kindheit gehabt hat, in den Augen der Öffentlichkeit ein Kind bleibt, ist er unschuldig. Und solange sind Nächte mit dreizehnjährigen Jungen im gemeinsamen Bett nur slumber parties – das ist das Zauberwort für Kinder, wenn sie bei ihren Freunden übernachten dürfen.

Die aktuellste Nachricht kommt aus Taipeh: Da hat Peter Pan alias Michael Jackson gerade zehn Einkaufswagen voller Spielzeug gekauft.