Ohne Worte

■ Reporter fanden Beweise: Die BBC hat den Holocaust bewußt verschwiegen

Dublin (taz) – Der britische Staatsfunk BBC hat die Judenvernichtung in Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verschwiegen, weil antisemitische Beamte im Außenministerium und in der BBC es so wollten. Das geht aus Unterlagen und schriftlichen Anweisungen hervor, auf die ein Reporterteam der BBC bei der Recherche für eine Rundfunkserie gestoßen ist, die vor einigen Tagen im „Radio 4“ angelaufen ist. Die Papiere belegen, daß hochrangige Politiker im Auswärtigen Amt die Juden verachteten und offenbar davon ausgingen, daß die britische Öffentlichkeit diese Einstellung teilte. Die Rettung von Millionen Juden war für sie daher nicht unbedingt ein erstrebenswertes Kriegsziel, über das sich zu berichten lohnte.

Neben Antisemitismus spielte bei der Berichterstattung auch Skepsis eine große Rolle. Im Ersten Weltkrieg hatten sich nämlich einige britische Horrorgeschichten im nachhinein als antideutsche Propaganda entpuppt. Der Generaldirektor der BBC, Robert Foot, befürchtete deshalb, daß Berichte über den Massenmord an Juden nicht ernst genommen würden. Selbst Staatssekretär Victor Cavendish Bentinck bezweifelte noch Ende August 1944 die Existenz von Gaskammern. Sein Kollege im Außenministerium, Roger Allen, glaubte ebenfalls nicht daran: „Ich persönlich habe nie verstanden, worin der Vorteil von Gaskammern gegenüber dem einfacheren Maschinengewehr oder dem ebenso einfachen Verhungernlassen liegen soll.“ Allen fügte hinzu, daß die Berichte über die Judenvernichtung „hauptsächlich aus jüdischen Quellen“ stammten und daher unglaubwürdig seien.

Die BBC hatte diesen Standpunkt von Anfang an vertreten: Nachrichten durften nur dann gesendet werden, wenn sie „aus gesicherten Quellen“ stammten. Jüdische Quellen gehörten freilich nicht dazu. Die BBC änderte ihre Haltung auch nicht, nachdem verschiedene Zeitungen über den Holocaust berichtet hatten. So schrieb der Daily Telegraph am 25. Juni 1942, daß 700.000 polnische Juden ermordet worden waren. Andere Blätter sprachen gar von einer Million Toten, doch die BBC ließ sich nicht beirren. Als der Redakteur Trevor Blewitt im April 1943 vorschlug, einen „Juden, der nichts mit der Geschäftswelt zu tun hat, über das Thema“ in einer Talk- Show reden zu lassen, lehnte der stellvertretende Abteilungsleiter C.V. Salmon ab. Statt dessen wünschte er sich „ein distanziertes Gespräch über Rassenhaß, wofür die deutsche Haltung gegenüber den Juden vielleicht ein Beispiel sein könnte“.

Sein Chef G. R. Barnes bekam sogar regelrechte Wutanfälle, wenn jemand gegen die Nachrichtensperre verstieß. Nachdem Lord Vansittard in einem Radiointerview die Behandlung der Juden in den von den Nazis besetzten Ländern angeprangert hatte, tobte Barnes: „Was hat es denn für einen Sinn, die Scheußlichkeiten allesamt aufzulisten? Sie haben für mich überhaupt keine Bedeutung mehr, und soviel ich weiß, hat das Informationsministerium erklärt, daß die britische Öffentlichkeit diesen Schauergeschichten überhaupt keinen Glauben schenkt.“ Das Ministerium ging davon aus, daß jeder Bericht über Judenverfolgung lediglich den Antisemitismus in Großbritannien anheizen würde.

In Wirklichkeit hatte die Rede des Außenministers Anthony Eden im Dezember 1942, als er vor dem Unterhaus auf die Massaker an Juden hinwies, bei der britischen Bevölkerung Forderungen nach verstärkter Hilfe für die Opfer der Nazis ausgelöst. Dennoch stellte BBC-Direktor Foot im November 1943 fest, daß es nicht Aufgabe der BBC sei, die „zweifellos im ganzen Land verbreiteten antisemitischen Gefühle zu korrigieren“. Im selben Jahr lehnte er eine Sendung über die Judenverfolgungen mit der Begründung ab, daß dadurch „die Sache nur verschlimmert würde, weil die Antisemiten dann eine Gegendarstellung verlangten, die man ihnen nur schwerlich verweigern könnte“.

Selbst bei Kriegsende blieb die BBC zunächst bei ihrer Vogel- Strauß-Politik. Als der Reporter Richard Dimbleby aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen von den Gaskammern und den Leichenbergen berichtete, hielten die Redakteure das Band tagelang zurück, bis der Wahrheitsgehalt durch Zeitungsberichte bestätigt worden war. Ralf Sotscheck