Lido-Kino

Zum Teil hat diese Biennale den Charakter einer Freak- Show, eines Jahrmarkts der Grotesken, der Medusenhäupter. „Bad Boy Bubby“ ist eine australische Version von Kaspar Hauser, die Geschichte eines jungen Mannes, der von seiner Mutter in einer Art Bunker festgehalten wird. Tagsüber frißt er Küchenschaben, nachts knetet er Mammis nicht unerhebliche Brüste. Eines Tages kommt der Vater zurück, aber Bubby erträgt das nicht und erstickt die beiden unter Cellophanhüllen. Mit den paar Versatzstücken an Sprache und Geste, die ihm zur Verfügung stehen, müssen nun er und die anderen da draußen auskommen. Er findet, wie zu erwarten, ein Wasteland aus Müllbergen, stillgelegten Industrieanlagen und demontierten Kirchen, und irgendwann findet er auch die Punkband, in die sein Gestammel prima hineinpaßt. Leider endet das Ganze in Familienzusammenführung und ist auch sonst nicht frei von einer gewissen üblen Behindertenromantik, aber ein Kinostoff für die Neunziger ist es allemal: Sind wir noch kompatibel für die da draußen?

Jennifer Chambers Lynch hat aus Vaters Trickkiste nur die gleich zuoberst liegenden Paraphernalia herausgefischt. „Boxing Helena“, die Geschichte eines Verliebten Tors, der seine widerspenstige Vampyresse (Lynch- Faktotum Sherilyn Fenn) zur Venus von Milo buchstäblich amputiert, ist ein hochnotpeinlicher Versuch, amerikanischen Hochglanzhorror mit europäischer Hochkultur aufzumotzen. Das Gartenorchester spielt Pfipfaldi.

Einen politischen, aber keinen „Thesenfilm“ nennt Eric Rohmer seinen „L'Arbre, le Maire et la Mediathèque“: In einem fiktiven französischen Dorf plant ein fiktiver Bürgermeister eine fiktive Medienbibliothek. Das ganze Dorf diskutiert; es geht um Parkplätze und die jahrhundertealten Bäume, aber es geht natürlich auch darum, wie man künftig leben will; es geht um die Linken und die Rechten und wie die Ökologie deren Verhältnis verändert und die alten Grenzen verwischt hat. Diskussionen finden in Designerbüros und vor Bauernhäusern statt, in Gärten und Villen und auf den Landstraßen. Durch das Gemisch aus Laiendarstellern und gestandenen Rohmer-Schauspielern (Fabrice Luchini, Bérénice Beaurivage) entstehen lebhafte Gespräche zwischen Kindern und Eltern, Enthusiasten und Abwieglern – und Spaziergängern mit ihrer Landschaft. Es wird viel gelacht, der Film ist ungheuer leicht und elegant und redet trotzdem 105 Minuten lang über das Allerwichtigste.

Aus Venedig:

Mariam Niroumand