■ Das SPD-Präsidium billigt „großen Lauschangriff“
: Wo andere rot werden...

Politik ist eine schwierige, zugleich immer kurzatmigere Angelegenheit. Darin liegt zweifellos ein Widerspruch, und es ist die deutsche Sozialdemokratie, die der Aporie des unfundierten Herumwurstelns bei steigender Komplexität der zu bewältigenden Probleme entschieden entgegenwirkt. Das hat Methode. Wo die andern noch im Nebel stochern, präsentiert die SPD schon ein „Gesamtkonzept“. Gesamtkonzept zur Einwanderungspolitik, Gesamtkonzept zur Außenpolitik, jetzt also: Gesamtkonzept Innere Sicherheit. Mit ihm wird zweifellos der Sicherheitsbegriff umfassend ausgeleuchtet, von der sozialen über die ökonomische bis hin zur Inneren Sicherheit im engeren Sinne. In einem Unterkapitel geht es dann endlich auch um die Zweckmäßigkeit des Einsatzes elektronischer Überwachungsmaßnahmen in privaten Wohnräumen bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität.

Die unterschiedlichen Gesamtkonzepte der SPD, aus denen sich in der Regel je ein „Gesamtpaket“ von Lösungsvorschlägen herauskristallisieren läßt, haben in jüngster Zeit, etwa seit 89, eines gemeinsam: Sie werden in Auftrag gegeben, wenn in einer bestimmten Frage der Druck der Union übermächtig wird. Unter dem Stichwort „Einwanderung“ ging es um die stimmungsmäßig längst vorbereitete Asylrechtsänderung, „Außenpolitik“ meint – noch sachte – die Erweiterung des Auftrages der Bundeswehr, das „Gesamtkonzept Innere Sicherheit“ kündigt die Zustimmung zum großen Lauschangriff an. Was da als kompetente Offensive, als verantwortlicher Blick aufs Ganze daherkommt, signalisiert die Bereitschaft, einen lange verweigerten, jetzt programmierten Kurswechsel zu vollziehen. Kurz: Wo andere Leute rot werden, präsentiert die SPD ihr Konzept. Dessen Genese präjudiziert in der Regel auch sein weiteres Schicksal. Hat sich der Kurswechsel, meist in Form einer Grundgesetzänderung, bewährt, schwindet die Bedeutung des Gesamtprojektes rapide. Beispiel: Einwanderungspolitik. Nachhaltiger jedenfalls lassen sich die Anstrengungen des parteiinternen Sachverstandes kaum entwerten. Seine Funktionalisierung für den immer neuen Schwenk schafft nur noch Überdruß, selbst für die gut begründeten und wünschenswerten Entwürfe. Die Erfahrung lehrt: es wird nichts draus.

Oder sind alle einzelnen Gesamtkonzepte sowie ihr tristes Schicksal nur Momente im Masterplan: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Freut sich die Union mit jedem neuerlichen Umstimmungserfolg bei der stärksten Oppositionspartei doch zu früh? Besetzt die SPD im Schlepptau einer nach rechts rückenden Union am Ende die Mitte, von wo aus sich der Wahlsieg bekanntlich am sichersten erkämpfen läßt? Ist die Große Koalition und ihre programmatische Absicherung nur der Einstieg zum ganzen Machtwechsel? Rätsel über Rätsel. Lange jedenfalls hat man die SPD nicht mehr lachen sehen. Matthias Geis