■ Israel nach der ersten Demonstration der Rechten
: Angst vorm Bruderkrieg

Vor dem Amtssitz von Premierminister Rabin steht ein alter, orthodoxer Rabbi. Umringt von blutjungen israelischen Polizisten. Er betet. Und das ist keineswegs ungewöhnlich für einen Rabbi. Bemerkenswert ist freilich, daß er den Koran rezitiert. Die Soldaten lachen, und sie fragen ihn, warum er ausgerechnet arabisch bete. „Nun“, sagt der Rabbi, „ich kann den Koran bereits auswendig, angesichts der politischen Entwicklung aber solltet ihr ihn schleunigst lernen. Und dabei helfe ich euch ein wenig.“

Der Rabbi bringt diffuse und auch irrationale Ängste vieler Israelis auf den Punkt: durch die Verhandlungen mit dem Erzfeind PLO sei Israel in Lebensgefahr. Ein Motto, unter dem sich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch mehr als hunderttausend Anhänger des rechtskonservativen Likud-Blocks, Religiöse und Siedler, aber auch verunsicherte Bürger, die keiner eindeutigen politischen Richtung zuzuordnen sind, vor dem Jerusalemer Amtssitz von Regierungschef Rabin einfanden. Die Verunsicherung vieler Bürger ist kaum verwunderlich. Bis heute kennt niemand den genauen Text der geplanten Übereinkunft zwischen Israelis und Palästinensern. Und allzu lange haben die großen Parteien in seltener Eintracht die PLO zum Angstgegner hochstilisiert, jeden Kontaktversuch mit Gefängnis bedroht.

Oppositionsführer Benjamin Netanyahu vom Likud schürt diese Ängste: „Die Regierung liefert unser Land dem gefährlichsten Feind aus: der PLO.“ Und scheinbar beiläufig zieht er eine gewagte historische Parallele: 1938 München – 1993 Oslo. Tiefer noch schürft sein Parteifreund Jitzhak Schamir: Er verstünde nun das „biblische Wort vom Untergang wirklich“, meinte der Ex-Regierungschef. Denn Israel drohe jetzt ein gefährlicher Bruderkrieg. Eine Polarisierung, die den Staat endgültig in zwei Lager spalte. Zum Nutzen der arabischen Gegner. Neuwahlen, da sind sich Netanyahu und Schamir einig, seien der einzige Weg, um zu klären, ob daß Volk denn wirklich die Kapitulation vor der PLO und die Preisgabe Israels wünsche.

Die Verhinderung jeder Übereinkunft mit der PLO ist für den Likud die machtpolitische Frage überhaupt. Denn sollte die Arbeitspartei in absehbarer Zeit einen erfolgreichen Modus vivendi mit PLO- Chef Arafat finden oder gar noch ein aussichtsreiches Zwischenabkommen mit Syrien auf den Weg bringen, dann dürften die Rechtskonservativen wohl für lange Zeit die harten Oppositionsbänke drücken. W. Saller/A. Wollin, Tel Aviv