■ Droht in Somalia der Verlust einer humanitären Idee?
: Blauhelme: Eine alarmierende Bilanz

Der Tod von sieben nigerianischen Blauhelmsoldaten in Mogadischu ist ein weiteres Zeichen dafür, daß die Vereinten Nationen in Somalia auf dem besten Weg sind, ein ursprünglich unterstützungswürdiges Ziel durch eine völlig unangebrachte Mittelwahl zu pervertieren. Statt der Sicherstellung der humanitären Versorgung werden unter der blauen Fahne der UN- Soldaten „Search-and-Destroy“- Aktionen organisiert. Befreien sich die Vereinten Nationen nicht bald aus diesem Sog hinein in einen Krieg, werden die Blauhelme und die ihrem Einsatz zugrundeliegende humane Idee einer friedenserhaltenden Funktion auf Jahre diskreditiert. Anstatt die Trennlinien zwischen unterschiedlichen Einsatzformen und -kategorien, wie Blauhelmeinsatz, Schutzfunktion, Absicherung humanitärer Missionen, begrenzte militärische Operationen, Kampfeinsätze, eindeutig zu konturieren, werden die immensen qualitativen Unterschiede wegplaniert. Die Somalia- Mission unterliegt auf bedrohliche Weise der Gefahr, daß das massenmedial transportierte, auch faktisch vorhandene, positive Image der Blauhelme instrumentalisiert wird, um völlig andere Verhaltensstandards zu etablieren. So werden Kriege wieder hoffähig gemacht. Krieg bleibt Krieg, auch wenn die Krieger blaue Helme, rote Strümpfe oder gelbe Unterhosen tragen.

Der blaue Helm, Sinnbild für eine mögliche friedliche Lösung von internationalen Konflikten und Kriegen, ist ein Symbol der Hoffnung und wird seine Kraft einbüßen, wenn Blut ihn weiter besudelt. Die Mächtigen dieser Welt führen dabei eine geschickte Regie. Verhandelt man im Bosnienkrieg mit den Kriegsverbrechern, so wird in Somalia auf einen Bandenchef eine Kopfgeldprämie ausgesetzt, obwohl ohne die Beteiligung des Warlords eine friedliche Lösung unwahrscheinlich ist. Blaue Helme werden so zum Button, der jeder beliebigen Aktion angeheftet werden kann.

So war das aber mit den friedenserhaltenden Maßnahmen und mit den Blauhelmen nicht gemeint. Durch die Rekrutierung von Blauhelmen aus Elite-Kampftruppen nationaler Streitkräfte (wie auch bei der Bundeswehr aus den Krisenreaktionskräften) werden vorhandene Möglichkeiten, friedlich das heißt nichtmilitärisch auf die Bearbeitung und Lösung von Konflikten zu setzen, auf dem Altar nationaler Machtinteressen geopfert. Statt dessen hätte man von Anfang an auf die erfolgreichen skandinavischen Erfahrungen zurückgreifen können, deren Blauhelmkontingente intensiv auf die schwierigen Missionen vorbereitet werden; sie sind Experten der Deeskalation. Auch die hoffnungsvollen Ansätze italienischer Blauhelm- Soldaten, über lokale Absprachen die Situation zu entspannen, könnten zunichte gemacht werden. Nach wie vor droht der Abzug des italienischen Kontingents.

Sicherlich wäre es eine weit angenehmere Aufgabe, auch in Somalia den UNO-Blauhelmen ein Loblied zu singen. Denn ohne Zweifel haben sie in vielen Konflikten eine überaus positive und manchmal auch eine entscheidende Rolle gespielt. Die Zwischenbilanz für die Mission in Somalia ist aber vernichtend; es droht der Bankrott der Idee einer Friedenserhaltung durch Blauhelme. Sie haben sich dort bisher nicht anders verhalten, als ganz normale, zur Kriegsführung ausgebildete Einsatzkräfte. Dabei hat diese Mission in Somalia weit über das Land hinausreichende strukturelle Auswirkungen. Dort wird deutlich werden, auf welche Mittel und Verfahren die Vereinten Nationen zukünftig setzen werden. Es besteht die Gefahr, daß die Blauhelme – Symbol der Hoffnung auf Frieden – zum beliebig austauschbaren Etikett für Militäreinsätze werden. Statt zum Beispiel Demonstrationen in einem Land zu fördern, das jahrelang unter einer diktatorischen Knute stand, schießen bewaffnete Blauhelme auf die Demonstranten. Das ist keine Deeskalation, das sind klassische Reaktionen militärischen Denkens und Handelns. Das ist eine Eskalation von Gewalt durch Soldaten, die überhaupt nicht auf diese schwierige Aufgabe vorbereitet sind. Besonders betrüblich ist, daß die Bundesregierung im Windschatten dieser drohenden Kapitulation auf kaltem Weg ihrem Ziel einer Verzahnung ökonomischer Macht mit militärischer Optionsvielfalt, einer Militarisierung der Außenpolitik, wieder ein gutes Stück näher gekommen ist. Ebenso wie sich die SPD einem imaginären Druck beugt und wieder einen Beweis ihrer Regierungsfähigkeit erbringen will. Der Weg, über das positive Image der Blauhelme und der friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen Kampfeinsätze hof- und mehrheitsfähig zu machen, unterscheidet die SPD in keiner Weise von der Bundesregierung. Die Betonung kleinerer Nuancen darf darüber nicht hinwegtäuschen.

An der Idee der Vereinten Nationen muß trotz aller Kritik festgehalten werden. Sie sind die einzige globale Organisation, in der jeder Staat gleichberechtigt ist. Mit Kritik an der Verfaßtheit der Vereinten Nationen darf keinesfalls gespart werden, aber diesen notwendigen Bemühungen müssen nach vorne weisende Reformvorschläge, insbesondere auch was die konkrete Problematik der internationalen Friedenssicherung betrifft, folgen. Auch hier gibt es zur Zeit keine Alternative zu den Vereinten Nationen, es sei denn, jemand sähe diese in den Nationalstaaten oder in punktuellsituativ zusammengeschmiedeten Kriegsbündnissen. Nur, die Vereinten Nationen, allen voran der Weltsicherheitsrat und der Generalsekretär, setzen derzeit auf die falschen Mittel. Mit Gewalt, auch mit Blauhelm-Gewalt, lassen sich Konflikte nicht lösen. Vollends pervertiert sich dieses alte Denken, wenn ein ganzes Kapitel der Charta (Kap. VI über die Verfahren der friedlichen Streitbeilegung) nur zu Propagandazwecken und aus billigen Imagegründen im Munde geführt wird, aber keinen Niederschlag im Denken und Handeln der politisch Verantwortlichen findet. Die Idee der Vereinten Nationen ist nach wie vor zukunftsweisend. Aber das in der UNO verkörperte Versprechen kann nur eingelöst werden, wenn die Weltorganisation die Chance ergreift, die nach wie vor mit dem Ende der Blockkonfrontation gegeben ist und neue, adäquate Mittel zur Konfliktbearbeitung einsetzt.

Früherkennung von Konflikten durch Ausbau der entsprechenden Abteilung beim UNO-Generalsekretär, Prävention durch rechtzeitige Entsendung von Vermittlern, friedliche Streitschlichtung auf der Basis einer Konvention, die endlich von den UNO-Mitgliedstaaten als bindend anerkannt werden muß, schließlich nichtmilitärische Konfliktbearbeitung: das sind die Herausforderungen. Wenn es den Vereinten Nationen gelingt, glaubwürdig diese Mittel und Verfahren anzuwenden, dann verdienen sie alle Unterstützung. Vor dem Hintergrund dieser letztlich positiven Einstellung zur Idee der Vereinten Nationen ist eine massive Kritik an ihrem Vorgehen in Somalia nicht nur berechtigt, sondern dringend notwendig. Achim Schmillen

Der Autor ist Mitarbeiter von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag.