Ein großes Auto muß es sein

Kein Business boomt in Rußland so sehr wie der Handel mit alten Importwagen / Spritspar-Autos sind nicht gefragt  ■ Zwischen Wladiwostok und Moskau Donata Riedel

Irina Dulova liebt Autos. „Für mich gibt es nichts Schöneres, als mich hinters Steuer zu setzen und herumzufahren“, schwärmt die 23jährige aus Wladiwostok. Sie arbeitet für ein russisch-japanisches Joint-venture-Hotel – und nutzte den Besuch eines Lehrgangs in Japan zum Kauf eines gebrauchten Mazda. „Ein großes, starkes Auto mit 100 PS. Auch wenn ich eine Frau bin, möchte ich ein richtiges Auto.“

Auf dem Bahnhofsvorplatz von Wladiwostok zeigt eine Informationstafel Fotos von ineinander verkeilten Pkw. An einer Kreuzung starben zwei Erwachsene und ein Kind, an einer anderen fünf Erwachsene und drei Kinder, steht in der Bildunterschrift. „Die schlimmsten Unfälle des ersten Halbjahres 1993. Fahrt vorsichtig!“ mahnt die Stadtverwaltung. Vor der Tafel aber bleibt niemand stehen, wie auch niemand hier vorsichtig fährt. Als Fußgänger eine Straße zu überqueren ist lebensgefährlich. Kein Autofahrer bremst – der Mensch am Steuer ist der Stärkere, ihm gebührt die Vorfahrt.

90 Prozent der Pkw in Wladiwostok sind rechtsgesteuerte Japaner. Während Geschäfte für Lebensmittel und Kleidung erst langsam in Gang kommen, boomt der Handel mit Importautos. Japanisch- russische Joint-venture-Unternehmungen beginnen meist im Gebrauchtwagenhandel, investieren die Gewinne in Luxushotels für japanische Geschäftsleute – die vorwiegend mit Autos handeln.

Jenseits der großen Joint- ventures, wie Acfes oder Dalco, die ganze Schiffsladungen von Japan nach Rußland verfrachten, kaufen vor allem Seeleute alte Gebrauchtwagen und Ersatzteile in Japan ein. „Ein Auto in Wladiwostok zu verkaufen ist überhaupt kein Problem“, sagt Seemann Walerij Iwanow, der zum vierten Mal einen Toyota aus Japan mitgebracht hat. „Jeder will schließlich ein Auto haben, denn was ist ein Mann schon ohne Auto?“ Dafür spare man dann, wenn's sein müsse, oder verkaufe die Familienmöbel.

Die russische Nachfrage hat in den vergangenen Jahren in der japanischen Hafenstadt Niigata das Gebrauchtwagen-Geschäft zum Boomen gebracht. Ein Dutzend Spezialmärkte hat sich dort am Osthafen angesiedelt. „Am besten“, empfiehlt Gennadij Antonow seinen Landsleuten in der Lokalzeitung von Wladiwostok, „kauft man bei Tsudoi Eiguchi“. Antonow schwärmt von dem ordentlich gepflasterten Autohof und dem gut sortierten Laden. „Die anderen Händler haben einfach einen ausrangierten Bus als Büro auf einem Schlammplatz geparkt, da fühlt man sich gar nicht richtig als Kunde willkommen“, meint Antonow. Für Eiguchi zahlt es sich aus, daß bei ihm das Aufnahmeritual in die Kaste der Autobesitzer stimmt — er verkauft 80 Gebrauchtwagen im Monat an Russen, für 60.000 bis 80.000 Yen (1.000 bis 1.300 Mark) das Stück. Für 30.000 Yen wird der Wagen zu jedem Hafen des russischen Fernen Ostens gebracht.

Was den Leuten im Osten das japanische Auto, ist denen im Westen Rußlands das deutsche. Im Zug von Moskau nach Berlin sind die meisten Reisenden junge Männer mit dicken Geldgürteln, die zum Gebrauchtwagenkauf die 28stündige Zugfahrt auf sich nehmen. Andrei Kusnezow hat sogar seinen Job als technischer Angestellter gekündigt. Mit einer Gruppe von acht Männern fährt er zuerst nach Berlin, um sich dort bei Landsleuten nach den günstigsten Gebrauchtwagenmärkten zu erkundigen. „Wenn es gut läuft, will ich in größeren Mengen deutsche Autos nach Rußland importieren“, sagt Kusnezow. „Deutsche Autos sind bei uns sehr gefragt und viel teurer als in Deutschland.“ Dieses erste Mal soll jeder aus der Gruppe erst mal ein Auto für sich selbst kaufen – für höchstens 2.000 Mark plus Ersatzteile.

Der Star im Zugwaggon ist Walerij Andropow, der bereits vor ein paar Monaten einen Opel nach Rußland überführt hat. Er listet auf: die Neupreise für die gängigsten Mittelklassewagen der Marken VW, Opel und Ford, den jährlichen Wertverlust, die Funktion von Fahrzeugschein und Fahrzeugbrief, daß die deutschen und polnischen Zöllner gar keinen Ärger machten, weil das Geschäft legal sei, und erst an der weißrussischen Grenze ein wenig geschmiert werden müsse. Einig ist man sich auch hier: Groß und möglichst PS-stark muß ihr Wagen sein. „So was“, sagt Kusnezow und zeigt im Vorbeifahren verächtlich auf einen Polski-Fiat, „ist doch bloß was für Frauen.“