Eilig & notwendig

■ Betr.: "Riss im Himmel quer"

Wenn Sie auch zu den Menschen gehören, die an keinem Bücherstand vorbeigehen können, auch wenn Sie gerade keine Tasche dabei haben, in der einen Hand ein Eis und an der anderen eine weitere, kein Geld und überhaupt genug zum Lesen zu Hause – wenn Sie also auch zu den Menschen zählen, die trotzdem stehenbleiben (obwohl der Zug in vier Minuten fährt und diese Bahnhofsbuchhandlungen ja sowieso wenig Gutes im Sortiment führen), dann widerfährt Ihnen möglicherweise das große, das nicht zureichend beschreibbare Glück, auf das hier zu lobende Taschenbuch zu stoßen. Andernfalls – und sogar, wenn Sie zwar zu jenen Menschen gehören, sich aber auf Gott Zufall nicht verlassen wollen, sondern anständigerweise auch hierin Agnostiker geblieben oder geworden sind – und eigentlich also in jedem Fall wird Ihnen an dieser Stelle dringlich empfohlen, angedient, ans Herz gelegt und aufgetragen, sich zu besorgen, solange es das Buch noch gibt: Caitlin Thomas' „Riss im Himmel quer“.

Caitlin Thomas ist die Witwe von Dylan Thomas und mit diesem in jungen Jahren auf der Titelabbildung zu sehen, die allein schon genügt, jeden Menschen, der nicht blind ist, von dem Buch zu überzeugen: in vielerlei Wolle gepackt, vor einem Kaminbord nördlichen (walisischen?) Zuschnitts steht er, den Kopf schräg gelegt, das Auge skeptisch, doch belegten Blicks geöffnet; an seiner Brust ruht (liegt, steht, schrägt) sie, ein Baumwolltuch um den Hals, Locken seitlich der großen Stirn, die Augen ein wenig nebelhaft ins unbestimmt Weite gerichtet – die Aufnahme selbst besteht aus vielerlei Schrägen und ist von einer genialen Gestalterin namens Britta Lembke noch einmal schräg aufs Buch montiert, und hinein ist, leistengleich (und natürlich schräg) der Titel gefügt, eine Gedichtzeile von Dylan Thomas: „Riss im Himmel quer“; eine Zeile, die aufs schönste korrespondiert mit einem Gedenkspruch, der, in trauliches Kitschrund gerahmt, auf dem Kaminsims steht und lautet: „Prepare to meet thy God“.

Über Caitlin Thomas nicht als Autorin, sondern als „eine der wenigen Frauen“ in Thomas' Leben heißt es in einem nachgelassenen Text von John Berryman im Times Literary Supplement vom 3.9.93: „Später gab es Caitlin, groß und schweigend in einer Fensterecke, immer da, und immer ohne ein Wort. So war es, bis sie heirateten und sie sich – und ich weiß wahrhaftig nicht wie – zu einer der besten wie gnadenlosesten lebenden Erzählerinnen [talkers] entwickelte.“ Möglicherweise möchten Sie an dieser Stelle etwas über das in Rede stehende Buch erfahren, was Ihnen diese Eloge plausibel macht, und womöglich ziehen Sie die Stirne kraus, wenn dieses Begehr, das ja nach Maßgabe des Üblichen durchaus berechtigt ist, meinerseits mit einem großen Unwillen beantwortet wird, der sich in etwa so erläutern läßt: Es gibt Bücher, die an jeder Stelle und in jeder Zeile für sich selbst sprechen, weil sie lebendiger, kurioser, bezwingender, komischer sind, als jede Beschreibung es sein könnte; es gibt Bücher, die etwas Seltenes, etwas Großes für sich beanspruchen können, das sie und in einem großen Kehrauf auch ihre ganze Gattung, in diesem Falle die autobiographische Prosa, rechtfertigt, die also evident sind: dies ist so ein Buch. Ich zitiere eine beinahe beliebige Stelle, damit Sie sehen, was ich meine: Die Heldin sieht zu, wie eine Italienerin Ravioli macht, „sozusagen von Meisterhand“. „Wenn ich doch auch etwas so gut machen könnte, nur eine Sache, dachte ich, ich würde es immer und immer weiter machen, ohne jemals aufzuhören. Aber ich konnte mir das richtig vorstellen, wie ich mit zwei linken Händen alles vom Tisch fegte, als sei ein Panzer darübergefahren: geschickte Leute brauchten für ihre raffiniert rationellen Bewegungen nur eine kleine freigeräumte Ecke und bewegten sich mit zufälliger Zuversicht und ärgerlich beläufiger Überzeugung. Wie ich dann mein Zeug und Werkzeug zu Berghöhen stapelte, als wenn ich ein Schlachtfeld vorbereitete, was ich ja wirklich tat; in bezug auf peinlichste Ordnung und Organisation war ich immer tyrannisch. Danach schlagen, rühren, hämmern, mit der Brutalität Carneras, bis das Stück schlaffen, grauen, fertiggemachten Teigs, das ich so wild bearbeitet hatte, alle Hoffnung auf Auferstehung in meinem Küchen- Feuerofen fahren ließ: starr, besiegt, blei-äugig wie eine überfahrene Ratte lag es auf dem Boden der Schüssel.“

Und so läge auch das Buch hier, würde ich erzählen, „worum es darin geht“. Zwei Erwähnungen nur:

a) Anhängliche LeserInnen dieser Kolumne erinnern sich vielleicht daran, daß hier zu Ehren Maupassants anläßlich seines 100. Todestages dessen Werk gewissermaßen quer durch seinen Schnurrbart gewürdigt wurde: Guy de Maupassants Schnurrbärtigkeit samt deren Konnotationen (Geschmeidigkeit und Ehrgeiz, Schönheit, Gebrauchtwagenhändlerscharakter, erotische Anziehung, Männerbündelei, Angemessenheit, Libido fürs verlogene Detail und standesbewußten Zierrat, (u.v.m.) wurde als konstitutiv für Glanz und Elend dieses großen Dichters behauptet, wenn nicht gar nachgewiesen – natürlich, wie für Idées fixes üblich, ohne jede weitere Verankerung. Und was liest man auf Seite 79 des hier annotierten Werkes: „Für mich ist ein Mann, der nicht trinkt, ganz einfach unanständig; er ist, wie Maupassant dies von einem Mann ohne Schnurrbart behauptete (obwohl ich ihm hierin nachdrücklich widersprechen muß): wie ein Ei ohne Salz.“ Wie schön ist es zu lernen, was man immer wußte.

b) Caitlin Thomas' Buch ist, unter anderem, eine Liebesgeschichte. Die Autorin, so heißt es im Impressum, „legt Wert auf die Feststellung, daß der Mann, mit dem sie zusammen lebt, nicht identisch ist mit Giovanni, den sie in diesem Buch trifft“. Man kann die Autorin hierüber beruhigen. Wo Literatur so rauh ist, so einzig, so unbedingt in jedem Satz wie in diesem Buch, sucht wohl kein Leser nach Linien, die womöglich ins Leben ragen: Man ist ja dankbar für jeden Satz auf dem Papier.

– Und ein PS: Der Verlag hat die Ladenpreisbindung für dieses erst vor anderthalb Jahren erschienene Buch aufgehoben, das heißt, es befindet sich im Ramsch, was verantwortungslos, bitter und unbegreiflich ist, zumal es ja nicht an Papier fehlt, jede Menge Zeuch neu zu drucken, das sofort in den Ramsch gehörte. Die Sache duldet also keinen Aufschub.

– Und PS zwei: Der bestellte Originaltext läßt auf sich warten, aus oben genannten Gründen durfte diese Empfehlung es nicht. So bleibt es Vermutung, daß die Übersetzung brillant und der Urschrift ganz & gar angemessen ist.

Caitlin Thomas: „Riss im Himmel quer“. Aus dem Englischen von Siegrid Toth, rororo Taschenbuch, 223 Seiten, 8,80 DM oder billiger