Die besten Jahre des Lebens

Zwischen Selbstausgrenzung und Propagandazwecken: Rock und Pop aus dem ehemaligen Jugoslawien  ■ Von Harald Fricke

Alle Zeichen, mit denen der West-Underground spielt, machen auf dem Weg nach Osten eine wundersame Wandlung durch. Sie werden ernst genommen. Hippies hören Punkrock, schüchterne AktionskünstlerInnen entdecken ihr Faible für S/M-Performances, engagierte Feministinnen finden sich über Heavy Metal. Im Gegenzug weichen harte Ausdrucksformen, ehe sie brechen wie Marmor, Stein und Eisen oder die Partei. Die slowenischen Industrial-Künstler Laibach, bislang überzeugte Separatisten, erklärten im zweiten Kriegsjahr Tito zum Helden: „Er hat die Dinge zusammengeführt. Er verband unvereinbare Dinge auf eine positive Art und Weise. Es war, als ob er eine Collage gemacht hätte. Er war ein sehr kluger Politiker und eine sehr starke Persönlichkeit und war in der Lage, Differenzen zu kitten und Frieden zu bringen.“ Soweit ihr im Hamburger Interview-Magazin alert abgedruckter Kommentar zur Lage der gespaltenen Balkan-Nation.

Auf den Großteil der Musikszene im ehemaligen Jugoslawien wirkt diese späte Ehrung des „sanften“ Diktators nicht wie eine wohlkalkulierte Stichelei: „Laibach konnten sich immer einer tatkräftigen Unterstützung durch die Westmedien sicher sein, sie waren eben clever genug. Für uns galten ganz andere Dinge. Wir haben nie versucht, die Bedeutsamkeit unserer Ideen herauszustellen. Wir waren einfach nur Teil der Musik“, blockt die 33jährige Keyboarderin Margita Stefanović von Ekaterina Velika gegenüber dem politischen Stellenwert der Popkultur in Jugoslawien ab. Die Gründung von Bands des jugoslawischen „New Wave“ wie Partibrejkers, Električni Orgazam und Ekaterina Velika fiel eher zufällig mit dem Tod ihres obersten Staatsmannes zusammen. Die Anziehungskraft ging von Clash, Public Image und den Radioshows auf BBC aus, nicht vom Staate: „Das Ganze war mehr oder weniger nur in Belgrad angesiedelt.“ Milan Mladenović kommen die Erinnerungen nur störrisch über die Lippen, so wie fast jedem Punk der alten Schule. In 13 Jahren ist der kurzgeschorene ergraute Gitarrist und Sänger zum absoluten Kultstar für serbokroatische Popfans aufgestiegen: „Wir hatten viel Zulauf, weil damals in den Medien ein gewaltiger Umbruch stattfand. Eine ganze Generation junger Leute fing zu dieser Zeit beim Fernsehen an, es gab überhaupt ein neues Verständnis von Medien.“

Was jedoch an Bildern, Moden und Klängen entstand, im Westen kam es nie an. Für die mittlerweile acht LPs der Ekaterinas gibt es kein internationales Vertriebsnetz. Während Laibach im akademischen Austausch mit nationalistischen Symbolen neue Rechte und alte Linke provozierten, überdeckte ihre schweiß- und mythengetränkte Einheitskunst jedes Popappeal aus Südost: „Für den Westen waren wir von Anfang an zu wenig links oder rechts, nach der Öffnung waren russische Bands spektakulärer. Schade, daß erst der Krieg Aufmerksamkeit auf die Szene in Jugoslawien gelenkt hat. Aber jetzt interessieren sich die Leute nur für politische Ursachen, nicht für die Menschen und ihre Musik. Wir haben schon vor acht Jahren von der Gefahr des Nationalismus gesungen – heute handeln unsere Lieder von Liebe und Zukunft, was anscheinend wieder niemanden interessiert.“

Es ist jedoch nicht allein der Westen, der vom jugoslawischen Pop die Sicherung des Weltfriedens erwartet. Zum ersten Antikriegskonzert von „Rimtuki Tuti“, einer gemeinsamen Musikerinitiative aus bosnischen, serbischen und kroatischen Bands, hatten sich 50.000 Menschen im Mai 1992 unmittelbar vor dem Parlament in Belgrad versammelt. Doch das Band-Aid blieb bis auf Gegendemonstrationen serbischer Nationalisten ohne Wirkung: „Unser Publikum ist nach unseren Auftritten genauso gegen den Krieg wie vorher. Aber die anderen hören uns nicht zu“, so das enttäuschte Resümee von Milan Mladenović vor einem Jahr. Er möchte sich heute nicht wiederholen, doch außer dem Geheimdienst und westlichen Medien scheint niemand im Land besonderes Interesse an den friedensbewegten Künstlern zu finden. Manche Aktionen enden im günstigsten Fall mit einer Ausreisegenehmigung.

Doch auch der Emigration sind, anders als Ende der 80er Jahre, Grenzen gesetzt, Flüchtlinge aus Serbien und Kroatien werden in ihre angeblich sicheren Herkunftsländer zurückgeschickt. Bevor der Ostblock zusammenbrach, gab es für jugoslawische Bands im Westen keine Probleme, es herrschte beiderseitige Reisefreiheit. 1990 hatten sich Ekaterina Velika bei der Abmischung ihrer „Dum Dum“-LP in den Berliner Tritonus-Studios eingenistet. Der Ärger kam im Zuge der allgemeinen Vereinigung. Milan: „Je stärker die europäische Einheit wächst, desto mehr werden einzelne Glieder ausgeklammert.“ Schon ist die Inflation in Serbien wegen des Embargos auf 2.500 Prozent angestiegen. Umgekehrt hatten die Musiker von den Barrieren im eigenen Land zunächst gar nichts gemerkt: „Als die Armee mobilmachte, kam eine Gruppe aus Riejka mit Privatautos aus Kroatien nach Serbien, um Musik zu machen. Schwierig wurde es bei den Kontrollen auf dem Rückweg. Sie mußten Kroatien verlassen und sind schließlich in Amsterdam gelandet.“

Eine Begründung für den Rausschmiß liefert die noch immer herrschende Überzeugung, daß Kultur fest an die Gesellschaft gebunden werden müsse: Histomat-Rocker im Dienste des Volkes. Nur wurde „das Volk“ in der posttitoistischen Zwischenzeit durch „die Nation“ ersetzt, anstelle von Unterhaltung geht es jetzt um Propaganda: Während des serbischen Marsches gegen Kroatien wurde in Zagreb ein Sampler mit patriotischen Songs zusammengestellt, auf dem von Bombastrock bis Partypunk jeder Stil vertreten war – bis auf den angedubbten World-Core von Vještice. Seitdem lebt ihr Drummer in Berlin im Exil. Er ist einer der Organisatoren des „Rock Against War“-Festivals, an dem neben der All-Star-Band „Rimtuki Tuti“ auch Ekaterina Velika, Partibrejkers und andere Gruppen aus dem Underground beteiligt sind. Doch der Publikumszuspruch für das Konzert im Kesselhaus der Ostberliner Kulturbrauerei – wo sonst Ulrich Meyer „Einspruch!“ erhebt – blieb geringer als erwartet. Etwa 500 hauptsächlich jugoslawische Jugendliche amüsieren sich ein paar Stunden mit Garagen-Punk, Pop und Balkan-Rock 'n' Roll, während Presse, Funk und Fernsehen dabei zuschauen oder mitschreiben. Als am Ende alle Musiker gemeinsam mit „Mir, Brate, Mir“ zum Frieden unter Brüdern aufrufen, sind die meisten Kids längst verschwunden.

Margita hatte bereits vor dem Konzert an der Wirksamkeit dieser Aktion gezweifelt, jetzt fühlt sie sich in ihrer Skepsis bestätigt. Die selbstorganisierte Kommunikation mit dem Publikum ist ein weiteres Symbol der Hilflosigkeit gegenüber dem kriegführenden Apparat. Jedes Lied, das sich um eine Liberalisierung der gesellschaftlichen Situation bemüht, geht im aktuellen Geschehen von Sarajevo oder Mostar unter. Ähnliche Erfahrungen hatte zuletzt Bono Vox gemacht, als er sich zur Zooropa- Tour von U2 über Satellit mit Jugendlichen im eingeschlossenen Sarajevo verbinden ließ. Die Liveschaltung per Fernsehbild änderte nichts am Krieg, sie machte ihn eher imaginär. Popmusik hat denselben Effekt: „Das ist dieser falsche Mythos um Rimtuti Tuki. Es ist in Wirklichkeit ein Treffen alter Freunde hier in Berlin, die sich im eigenen Land nicht mehr sehen können. Man muß sich darüber im klaren sein, daß jeder von uns mit Musik aufgewachsen ist und die besten Jahre seines Lebens daran verschwendet hat. Uns macht es immer noch Spaß. Das ist der eigentliche Grund für unser gemeinsames Auftreten, weil wir dazugehören. Aber für den Zuschauer sind es 1 1/2 Stunden, in denen er sich in einer künstlichen Welt bewegt. Wir hätten dennoch niemals geglaubt, daß sich dieses Publikum irgendwann in zwei Gruppen teilen würde, die, die Krieg führt, und die, die weiter zuhört. Das macht mir angst. Von diesem Punkt aus kann man sich die eigene Identität als Musiker nicht mehr länger vorstellen. Du wirst praktisch zum Versuchskaninchen.“

Was bei den Rolling Stones mit „Street Fighting Man“, „Sympathy for the Devil“ und „Angie“ als freies Flottieren zwischen Rockidentität, Karriere und politischem Statement gilt, hat in Jugoslawien niemals über Symbole funktioniert. Deshalb bewegt sich auch die Betroffenheit von U2 in einem völlig anderen Rahmen als die öffentlichen Bekundungen von Ekaterina Velika oder Rimtuki Tuti. Hier sind die Barrieren zwischen Love- und Protestsongs größer als im Westen, weil Bands wie Ekaterina Velika keine Musikindustrie repräsentieren, die sie als Gegenleistung zumindest in Schutz nehmen könnte: „Die Stones waren finanziell durch das System abgesichert, für das sie musiziert haben. Sie haben ihren Job getan. Heutzutage kann Bono über sich selbst lernen, während er eine immer größere und kapitalkräftigere Struktur mit U2 um sich und seine Musik herum aufbaut. Es bleibt aber einfach nur Musik. Auf der anderen Seite hast du noch Bands wie die amerikanischen Consolidated: Sie lernen in bezug auf die Schärfe der Situation dazu und nicht durch das System.“

Popmusik scheitert in Jugoslawien an den eigenen Idealen. Als ehemals hedonistische Reaktion auf den genußfeindlichen Staatssozialismus fördert sie heute entweder ihre Selbstausgrenzung als kleine Flucht ins Private, was angesichts des zunehmenden Elends paradox erscheint. Oder sie muß sich den Gegebenheiten fügen und politisch agieren. Damit wäre allerdings der Anspruch auf Eigenständigkeit dahin. Als Zugpferd der Gegenbewegung ist sie gesellschaftsdienlichen Zwecken und Interessen unterstellt. Doch gerade damit hatten die Musiker des New Wave vor 13 Jahren brechen wollen: „Wir sind mit dem Glauben groß geworden, in einem perfekten Gesellschaftssystem zu leben. Unsere Eltern selbst sind Vatermörder gewesen. Sie sagten, es gäbe keine Tradition, Religion oder sonst was, alles, was kulturell an Spannungen verwurzelt war, wurde abgeschafft. Aber als das dann endete, haben die Menschen sich genau an diesen Dingen orientiert: Macht, Nation, Religion. Andere sind mit Yoga und Meditation in die Bedeutungslosigkeit gegangen. Gut, du kannst auch Bücher lesen und Gleichgesinnte suchen. Wir haben es mit Musik versucht.“