Defilee vorbei am Stillstand auf Rädern

„Ökomobile“, die spritsparenden und umweltschonenden Autos der Zukunft, sind auf der Frankfurter Automesse IAA 1993 nur zum Anschauen da. Obwohl von den meisten Herstellern längst entwickelt, ist noch keins in Serie gegangen.

Die Geisterbahn auf dem Rummelplatz IAA 1993 steht bei BMW: Wer auf der sich drehenden Scheibe seinen Platz – mit integriertem Kopfhörer – eingenommen hat, wird sanft durch die wunderbare „Welt der Mobilität“ gefahren. Auf einer Panorama- Leinwand windet sich die Seitenwinderschlange durch die Wüste. Die Erde „geht auf“, und alle Sternlein funkeln. Und der moderne Mensch bewältigt mit einem Motorrad von BMW die seitenwinderschlangengleichen Serpentinen auf Korsika. „Mobilität ist Leben“, so die Botschaft der Bayerischen Motorenwerke auf der größten Automobilschau der Welt. „Mobilität, Vielfalt und Toleranz“ ist denn auch das Motto der ganzen Veranstaltung auf dem Messegelände in Frankfurt/Main.

Exakt 1.087 Aussteller aus aller Welt haben zur 55. Internationalen Automobilausstellung mit ihren Automobilen, Motorrädern und Zubehörteilen den Weg in die Mainmetropole gefunden – und dabei offenkundig die ausgetretenen Pfade bei der Serienproduktion von Fahrzeugen für den Individualverkehr nicht verlassen. Ein Besuch auf der IAA 1993 ist ein Geist, Körper und Seele zermürbendes Defilee – vorbei an den (fast) immer gleich aussehenden Blechkutschen im Design der späten 80er Jahre. Und auch unter den Motorhauben schnurren – trotz drohender Klimakatastrophe – noch immer die spritfressenden Maschinen für die rasante Fahrt in den nächsten Stau.

Dabei haben (fast) alle Hersteller das sogenannte Ökomobil längst entwickelt. Auf rotierenden Scheiben präsentieren sie ihre Endprodukte „durchdachter Konzepte“ (Mercedes-Benz) stolz dem staunenden Publikum. Doch in Serie ging bis heute weder die „Vision A 93“ der Untertuerkheimer noch die Modelle „Z 13“ und „E 1“ von BMW, die „nicht aus Träumereien, sondern aus diziplinierter, zielgerichteter Denkarbeit“ entstanden sein sollen. Auch bei VW läuft der „Öko-Polo“ noch nicht vom Band. Und der „Downtown“ von Fiat, ein Elektro-Auto mit dem Design einer Raumkapsel, steht nur downtown Frankfurt. Renaults „Vesta“, mit einem Verbrauch von nur 2,8 Liter auf 100 km, mußte schon von Greenpeace vor die Messehallen geschleppt werden; am Mittwoch dachten die inzwischen mit Volvo liierten Franzosen noch darüber nach, ob man den bereits im Museum verschwundenen „Vesta“ nicht besser am eigenen Stand präsentieren sollte – um sich von Greenpeace nicht länger vorführen zu lassen. Nur bei Herkules und Schauff sind umweltfreundliche Fahrzeuge in Serienproduktion zu sehen: Fahrräder. Erstmals hat der Automobilverband zwei Zweiradherstellern Ausstellungsfläche zugestanden, weil es „schick ist, mit dem Fahrrad statt mit dem Porsche am Golfplatz vorzufahren“, wie Giant Deutschland-Chef Kandler der Wirtschaftswoche gestand.

Die gesamte Branche scheint in der heutigen Krise auf die (vermuteten) potentiellen Käuferschichten für die sogenannten Ökomobile zu starren – wie das Kaninchen auf die Schlange. Keiner wagt, mitten im Balanceakt auf der Rentabilitätsgrenze, den „Sprung ins kalte Wasser“ (Opel). Geforscht wird auf Teufel komm' raus auch bei den Rüsselsheimern. Doch serienreif, so ein smarter Opelaner am Buffet mit den halben Langusten und dem chinesischem Mischgemüse, sei das alles noch nicht. Daß die Opel-„Mutter“ General Motors bereits 1992 den sportiv aussehenden „Ultralite“ mit einem Verbrauch von nur 2,4 Litern bis zur Serienreife entwickelt hat, verkündeten vor den Messetoren wieder nur die Aktivisten von Greenpeace. Und daß das Vorstandsmitglied von Mercedes-Benz, Jürgen Hubbert, auf der IAA erklärte, daß die Markteinführung der „Vision A“ (A-Klasse) für die zweite Hälfte der 90er Jahre vorgesehen sei, wird von der Konkurrenz lediglich als „taktisches Manöver“ bewertet.

Das Credo der Manager an den topgestylten Messeständen heißt „Augen zu und durch“ – durch die ökonomische Krise und durch das ökologische Desaster. Man (n) glaubt fest an futuristische Verkehrsleitsysteme zur Bewältigung der kommenden Autofluten, an den Airbag für das Survival bei der Massenkarambolage und an den mit recyclefähigen Getränkedosen gut gefüllten Bordkühlschrank für den Urlaubsstau im Hochsommer. Geht es nach den Vorstellungen etwa von BMW, kann sich der Citoyen der Zukunft kurz vor Feierabend im Büro den Verkehrsleitplan für seine Stadt auf den Monitor seines Computers holen – und dann das optimale Verkehrsmittel frei wählen. Und ein Monitor im Auto weist freie Parkflächen aus, warnt vor Staus und Baustellen auf den Autobahnen und bietet Ausweichstrecken an. Bei Opel kann man sich sogar vorstellen, daß es künftig privatisierte Autobahnen gibt, auf denen dann – gegen Aufpreis – staufreies Fahren garantiert wird.

Eine Art „olympischer Friede“ wurde auf der IAA von den Konkurrenten und Kontrahenten Opel und VW geschlossen und auch eingehalten. Doch schon bei der Präsentation schieden sich die Geister wieder. Während der Konzern von Sparkommissar López den rund 7.000 JournalistInnen aus aller Welt nur belegte Brötchen servierte, glänzte Opel mit einem ausgerechnet von „Käfer“ konzipierten Buffet der Extraklasse: Fortschritt durch Geschmack – und ein Punktsieg für Opel auf einem Nebenkriegsschauplatz. Die von der Last der Krise gebeugte Branche durfte sich zur IAA-Premiere am Dienstag an einem Grußwort der Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Erika Emmerich, für zehn Tage wieder aufrichten: „Das mit Abstand bedeutendste Verkehrsmittel im Personenverkehr ist das Auto. Mit ihm wurden 1992 gut 82 Prozent der insgesamt 879 Milliarden Personenkilometer in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt.“ Da freute sich auch Franziska von Almsick am Stand von Opel

ohne Führerschein noch, aber mit Modellauto unterm Arm. K-P. Klingelschmitt, Frankfurt