Im Stau gibt's wenigstens keine Auffahrunfälle

■ Im Bemühen, ihr Produkt auch in Zeiten wachsender Immobilität und Umweltbelastung anzupreisen, schrecken Autohersteller auf der IAA auch vor wüsten Klischees nicht zurück

Die Stadt stinkt zum Himmel, auf dem Cityring stauen sich die Autos kilometerweit, das Frankfurter Kreuz ist verstopft: ein ganz normaler Morgen in der Rhein- Main-Region. Augenschein, Verkehrsnachrichten, Berichte der Straßenbahn- und Taxifahrer von Nord nach Süd und Ost nach West – nirgends findet sich der für den ersten Tag der IAA gefürchtete Superstau. Wie auch? Bei mittlerweile 300.000 Autopendlern täglich fällt der zusätzliche Andrang vermutlich sowieso kaum auf.

Die Straßenbahnen sind so ölsardinendicht wie immer zu Messezeiten. Nur die Kleiderordnung ist anders als etwa bei der Landwirtschafts- oder der Buchmesse: viel grauer Flanell, noch mehr Kombi, Koffer und Krawatte. Und die Herren, die die höhere, wenn schon nicht bessere Einsicht aus den Fonds ihrer Automobile in den ungeschützten Raum des Öffentlichen Nahverkehrs katapultierte, bewegen sich sichtlich in der Fremde. Weil sie die schlichte Regel der Vielflieger – die, rein statistisch, auf die Noch-Autofahrer mit kontenanter Verachtung blicken – als angestellte Automobilisten nicht gelernt haben, sind sie nicht imstande, eine schlichte Rolltreppe zu benutzen: „Rechts stehen, links gehen!“ Aber nein, sie klumpen. Daß es der Beförderung, und sei es nur in der Straßenbahn, durchaus dienlich ist, nicht nur in Haufen den Eingangsbereich der Gefährte zu verstopfen, sondern beherzt auch in deren Gänge zu treten, ist ihnen ebenfalls unbekannt. Dafür können sie glatt eine Viertelstunde lang vor dem Fahrplan stehen und immer noch nicht begreifen, wie der eigentlich zu entschlüsseln ist: „Nein, Sie sitzen hier Richtung Waldstadion! Zur Messe in Gegenrichtung!“

An den FVV-Automaten scheitern sie im Eignungstest für Lebenstüchtigkeit ohne Privatwagen gleich im Dutzend. „Wo muß ich denn hier drücken?“, fragt tatsächlich einer, dem das mobile Handy aus der Rocktasche guckt, als sei er eigentlich durchaus imstande, schon eigenständig einfachere Tastaturen zu bedienen. Und die Geschichte von den zwei Ingenieuren ist auch kein Witz. Die haben das Problem in München jüngst schon einmal mutig angegangen und brillant gelöst, indem sie den teuersten Fahrschein für 7,50 DM zogen: „Damit bist du aus dem Schneider bei jeder Kontrolle.“ Hier kämen sie damit fast bis nach Wiesbaden.

Und dann gibt es da noch die ganz besonders Vernünftigen, Progressiven. Die sind meist gut gekleidet, männlich und kommunikativ. Sie erzählen dem Nachbarn in der U-Bahn ungebeten, daß sie natürlich eigentlich ein Auto besitzen. Es folgen unausweichlich Marke, PS und Verbrauch. Und daß sie es nur diesmal, auf dieser Strecke und hier und heute, aus diesen und jenen ja doch sehr einsichtigen Gründen nicht benutzen.

Da hinkt der rundliche Herr in der Messe-Installation eines großen Rüsselsheimer Automobilherstellers erheblich hinterher. Dort stehen Birken in steinigen Trögen, plätschert Wasser und steht das neueste Modell inmitten einer Riesenseerose. Vom Band zwitschern melodisch Piepmätze. Die Zukunft des Autos sieht er, beim Buffet eines Münchner Gastronomen mit Insektennamen, für seine Firma im komfortableren PKW. „Wenn ich schon stundenlang im Stau stehe“, sagt er, „dann will ich es wenigstens bequem haben.“ Gegen das eigene Abgas und das der Mitstinker vor und hinter sich empfiehlt er deshalb Autos mit Klimaanlage in Serie. Das hätte er in der Luxusklasse der Münchner Kollegen nicht nötig. Die setzen auf intelligente Verkehrsleitsysteme und verlieren dabei den Massenkunden aus dem Blick. Der lonesome rider, der sich am heimischen PC die beste Strecke und Fahrtzeit zum gewünschten Ziel zusammenstellt, ist entweder ein Nichtstuer oder bestenfalls freier Handelsvertreter, der nicht, Gleitzeit hin oder her, zu einer festen Uhrzeit für den Chef seine Schreibtischschubladen auf- und zuschieben muß. Dafür haben die Bayern einige Selbstironie in Sachen Bewegung und Werbung: „Wer flieht, kann überleben. Viele Tiere verdanken der natürlichen Beweglichkeit, daß sie ihren Feinden entkommen können. Menschen, andererseits, haben intelligente Methoden entwickelt, um Gefahren aus dem Weg zu gehen.“ Wohl wahr, mitten im Stau gibt es wenigstens keine Auffahrunfälle.

Mit Natur pur und Kindern, wie in Anzeigen und Spots derzeit und immer mehr, werben auf der IAA nur wenige Hersteller. Das Publikum hier muß nicht erst agitiert werden wie jene pubertierenden Knaben, die laut Untersuchungen einerseits bis zu ihrem 16. Lebensjahr schon entschieden haben, welches ihr Traumauto ist, andererseits aber von naturbeflissenen Biologielehrern indoktriniert werden. Statt dessen haben sie auf die von den Werbestrategen verordnete Bildschirminformation gesetzt. Das rächt sich. Kaum jemand mag die vielen Filmchen auf den großen und kleinen Monitoren angucken, die Daten und Fakten nur häppchenweise und zwischen bunten Bildern verstreut liefern. Als hätten sie das geahnt, haben etliche Firmen deshalb vorsichtshalber auch lebendige Akrobaten, echte Rennfahrer, VolkstänzerInnen und Sängerinnen engagiert. Und nicht, daß Natur zu kurz käme. Dernier cri sind die Sitze aus ungefärbtem Leder. Und die edlen Wurzelholzpaneele der Luxuslimousinen sind jetzt auch für jederfrau erschwinglich, als Klebefurnier für 80 Mark pro Stück.

Den bei weitem schrägsten Beitrag zum Infotainment steuerte die VW-Tochter Skoda bei. Sie richtete sich zwischen sperrmüllverdächtigen Altmöbeln und Tischdecken aus Restbeständen des realen Sozialismus ein, lieferte ein erstklassiges Buffet und Autos im Kinderrollerdesign. Das beste aber bei Skoda war die Bedienung, die den schaulustigen Schnorrern mit norddeutschem, sächsischem und französischem Zungenschlag bestens servierte und einschenkte: „So Lackaffen wie Sie kaufen doch sowieso BMW!“ Kunden-Mobbing vom Feinsten. Heide Platen, Frankfurt