Beginn einer Ära der friedlichen Koexistenz

Mit der Unterzeichnung des Briefwechsels zwischen PLO-Chef Arafat und dem israelischen Ministerpräsidenten Rabin ist ein „historischer Durchbruch“ erzielt: Israel erkennt die PLO an, die PLO akzeptiert das Existenzrecht Israels.

Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) haben sich nach jahrzehntelanger Feindschaft gegenseitig anerkannt. Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin unterzeichnete gestern morgen einen Brief an PLO-Chef Jassir Arafat, in dem die PLO als „Vertreter des palästinensischen Volkes“ anerkannt wird. Zuvor hatte Arafat in Tunis seine Unterschrift unter jenes Dokument gesetzt, in dem seine Organisation das Existenzrecht Israels anerkennt. Rabin sprach von einem „historischen Moment“.

Rabin bezeichnete das Abkommen als „radikalen Wandel, der den Weg zu Versöhnung und Frieden“ öffne. Es könne auch zu einer Verbesserung der Beziehungen Israels mit seinen anderen arabischen Nachbarn beitragen, fügte der Ministerpräsident hinzu.

PLO-Chef Jassir Arafat unterzeichnete nach den Angaben seines Vertrauten Bassam Abu Scharif in der Nacht zum Freitag in Tunis das Dokument, in dem seine Organisation das Existenzrecht Israels anerkennt. Das Exekutivkomitee der PLO hatte Arafat zuvor die Vollmacht erteilt. Das Dokument wurde anschließend von dem norwegischen Außenminister Holst von Tunis nach Jerusalem gebracht. Der Norweger hatte bereits in den letzten Monaten im Hintergrund der Geheimverhandlungen gewirkt.

US-Präsident Bill Clinton kündigte daraufhin an, die US-Regierung werde die seit Jahren offiziell eingestellten Kontakte zur PLO wiederaufnehmen.

Der Leiter der außenpolitischen Abteilung der PLO, Faruk Kaddumi, kritisierte Arafat mit den Worten: „Keine führende Instanz hat das Recht, das palästinensische Volk dazu zu zwingen, den Kampf um die Errichtung eines unabhängigen Staates aufzugeben.“ Die Vertreter der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) und der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) im PLO-Exekutivkomitee, Taissir Chaled und Abdelrahim Malluh, traten aus Protest aus der PLO- Führung aus.

Der Bürgermeister von Bethlehem, Elias Freij, sprach von „einem historischen Augenblick“. Freij, der in Madrid als Mitglied der palästinensischen Delegation mit den Israelis am Tisch saß, meinte gestern: „Die gegenseitige Anerkennung hat den Keim des Vertrauens in die Herzen der Israelis und Palästinenser gelegt. Dieses gegenseitige Vertrauen ist notwendig, um zum Frieden zu gelangen. Ich gratuliere den mutigen Männern Arafat und Rabin zu diesem Schritt in Richtung Frieden.“

Auch jene Palästinenser, die sich jetzt gegen das Abkommen ausgesprochen hätten, würden sich im Laufe der Zeit an die neuen Umstände anpassen müssen, meint Freij. Dies gelte besonders, „wenn auch die arabischen Staaten ähnliche Abkommen mit Israel unterzeichnen wie jetzt die PLO. Die Beziehungen zwischen Israel und der PLO werden sich so weitgehend ändern, daß man auch israelische Wirtschaftshilfe für die PLO nicht ausschließen kann.“

Der ehemalige Bürgermeister der Stadt Nablus, Bassam Schaka, der beide Beine bei einem Anschlag israelischer Terroristen verloren hat, meint dagegen, daß es sich bei dem Austausch der Briefe zwischen Rabin und Arafat „um gar keine israelische Anerkennung des palästinensischen Volkes“ handele. Anerkannt werde nur „die Politik einzelner Personen, die heute im Zentrum der Führung in Tunis stehen. Sie vertreten nicht die legitimen Forderungen der Palästinenser. Die jetzt gefaßten Beschlüsse weichen völlig von den Beschlüssen des Palästinensischen Nationalrats ab.“ Das „palästinensische Exilparlament hatte zuletzt 1991 in Algerien getagt.

Schaka glaubt nicht, daß die gegenseitige Anerkennung der PLO und der israelischen Regierung etwas an den Lebensverhältnissen in den besetzten Gebieten ändern wird: „Die Okkupation bleibt eigentlich weiter bestehen. Von Unabhängigkeit kann keine Rede sein. Wir werden vielleicht einen eigenen lokalen Selbstverwaltungsrat wählen dürfen, aber von nationaler Selbständigkeit ist nirgends die Rede.“

Mosche Katzav vom konservativen israelischen Likud-Block fürchtet, daß die Israelis für das Abkommen „noch teuer bezahlen müssen. Die Hauptforderung der PLO ist ein palästinensischer Staat in Judäa und Samaria. Ist es das, was die israelische Regierung will?“ Es gebe keine „andere PLO als die, die wir seit Jahren bekämpfen. Eine PLO, die einen palästinensischen Staat errichten will, ist eine Bedrohung unserer Existenz.“

Rehavam Zeevi, der als Führer der rechten Moledet-Partei in der Knesset sitzt, ist ein Vorkämpfer für einen „Transfer“ der palästinensischen Bevölkerung in die arabischen Nachbarstaaten. Für ihn hat die Regierung Rabins „Arafat und die PLO vor dem totalen Zusammenbruch gerettet“. Das gestrige Datum ist für ihn „ein schwarzer Tag in der Geschichte des jüdischen Staates“.

Umweltminister Jossie Sarid vom linken Meretz-Bündnis hat selbst an den Verhandlungen mit PLO-Vertretern teilgenommen. Er spricht von einem „historischen Wendepunkt. Für mich ist das ein glückliches Ereignis, aber ich bin weit davon entfernt, euphorisch zu sein. Ich habe auch Ängste. Aber Angst ist kein Programm.“

Nach letzten Umfragen sind 57 Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels für die Abkommen mit der PLO. Unter der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten halten sich Ablehnung und Zustimmung ungefähr die Waage. Amos Wollin, Tel Aviv

Clinton „sehr, sehr glücklich“

Washington (dpa) – Die USA werden dem Schritt Israels zur Anerkennung der Palästinensischen Befreiungs-Organisation nicht sofort folgen. Es wurde jedoch erwartet, daß US-Präsident Bill Clinton noch am Freitag die Wiederaufnahme des Dialogs mit der PLO ankündigt. Dabei dürfte Clinton auch Details über die für kommenden Montag in Washington geplante feierliche Unterzeichnungszeremonie bekanntgeben.

Amerikanische Regierungsvertreter machten am Donnerstag deutlich, daß die Anerkennung der PLO jedenfalls bevorstehe. Einer schnellen Anerkennung stehen jedoch parlamentarische Hürden und die Bedingungen im Wege, die sich die USA nach dem Abbruch des Dialogs mit der PLO im Juni 1990 auferlegten.

Clinton hatte am Donnerstag gesagt, er sei über die gegenseitige Anerkennung der PLO und Israels „sehr glücklich“ und „sehr, sehr hoffnungsvoll“ für eine künftige Friedensvereinbarung im Nahen Osten. Er verhehlte jedoch nicht, daß es noch zahlreiche Hindernisse gebe.

In amerikanischen Regierungskreisen wird vor allem die Besorgnis geäußert, die Fortschritte zwischen Israelis und Palästinensern könnten durch den anhaltenden Stillstand zwischen Damaskus und Jerusalem gefährdet sein.