Schöne bunte Luftballons

■ Ein Quelle-Kaufhaus gibt es schon, jetzt soll Leipzig Medienmetropole werden

„Stein auf Stein, Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein.“ Das alte Lied von den fleißigen Handwerkern könnte auch das Lied von den fleißigen Stadtvätern Leipzigs heißen. Wollen sie doch Schritt für Schritt ihre Stadt zur Medienmetropole mausern. Doch ob das Häuschen fertig wird, erscheint fraglich. Bislang nämlich sind die Steine nur große runde Luftballons.

Erst das jüngste Medienforum in der vergangenen Woche bewies, daß Leipzig genauso weit davon entfernt ist, eine Medienstadt zu sein, wie andere Zentren in den fünf neuen Bundesländern. Anstelle vorzeigbarer Ergebnisse blies der Wirtschaftsdezernent nur die altbekannten Ballons neu auf, als er die Zukunft skizzierte.

So müsse in Leipzig ein weithin sichtbares Medienhaus her, gedacht für die Ansiedlung vorrangig mittelständischer Medienbetriebe. Eine Teleport soll nicht nur schnellste Kommunikation der klassischen Medien ermöglichen, sondern auch Magnet für andere investitionsfreudige Branchen werden. Mit der Errichtung eines Osteuropa-Instituts für Telekom und Medien will Leipzig die Ostkomponente unterstreichen. Letzter Punkt auf dem Wunschzettel: die Etablierung einer Akademie für Werbeleute.

Bis auf letzteres sind das alles Vorhaben, an denen die Medienstadt Leipzig GmbH nebst gleichnamigem e.V. schon seit über zwei Jahren basteln. Nebenbei lassen sie keine Chance ungenutzt, fast alles, was derzeit in Leipzig entsteht, als Baustein für die künftige Medienstadt zu verkaufen, selbst das Quelle-Kaufhaus vor den Toren der Stadt entsteht unter der großen Überschrift „Medienstadt“. Das entbehrt einer gewissen Logik nicht, schließlich sollen selbst die Kaufhäuser im Osten über moderne Telekommunikationsanlagen verfügen.

Das Argument mit der Landkarte

Als Garant für den Erfolg des fast milliardenschweren Investprogramms Medienstadt wird immer wieder die geographische Lage aufgeführt, wodurch Leipzig zu einer Drehscheibe zwischen Ost und West werden könnte. Dieser Aspekt scheint so bedeutend, daß er zum Thema des „3. Medienforums Sachsen“ wurde. „Leipzig als Brückenbauer zwischen Ost- und Westeuropa“.

Wer nun gehofft hatte, mehr über die Rundfunk- und Medienstruktur östlich der Neiße zu erfahren, wurde enttäuscht. „Kulturraum Europa, Medien als Mittler“ lautete die große Losung für den Vormittag. Doch die beiden Referate von Wim Noomen, Universität Amsterdam, und dem polnischen Botschafter, Janusz Reiter, enthielten lediglich Überlegungen, wie denn Europa nun am besten zusammenwachsen könnte. Wie die Medien diesen Prozeß begleiten können, wie sich dabei selbst verändern, wurde sorgfältig ausgespart.

Um so mehr ergingen sich die beiden Redner und die Teilnehmer der anschließenden Diskussionsrunde im Ausbau des Bildes von der Brücke zwischen Ost- und Westeuropa. So sinnierte beispielsweise Wim Noomen, worüber sich die Brücke erstrecken müsse: „Über das Meer, das nach dem Evangelium Feindschaft macht zwischen Menschen? Über eine Schlucht, über ein Tal, über, ja, über was?“

An so viel Geist dürfte der Intendant der Leipziger Oper, Udo Zimmermann, seine helle Freude gehabt haben. Er war es nämlich, der in der „Talk-Runde mit Experten“ die uralte Diskussion über Medienethik vom Zaun brach. „Vielleicht bin ich ein furchtbarer Moralist“, entschuldigte er sich. Aber dem konnte man eigentlich nicht zustimmen. Er war ein penetranter Moralist.

Von den Teilnehmern aus Budapest und Prag war leider nicht allzuviel über die dortige Medienkultur zu erfahren. Erfreut nahm RTL-Chef Helmut Thoma zur Kenntnis, daß sein Sender in Prag und Budapest mit zu den beliebtesten gehört. So lautete das Ergebnis der Runde am Vormittag: Wir müssen Brücken bauen, über die nicht nur Einbahn- sondern auch Zweibahnstraßen führen. Sprich Kulturaustausch zwischen West und Ost sowie umgekehrt.

Den wirtschaftlichen Teil des Forums läutete Ex-Postminister Christian Schwarz-Schilling mit einer Abrechnung der jetzigen Postpolitik ein. Anschließend bekamen die rund 100 Teilnehmer eine Werbeshow der Telekom geboten: Videokonferenz zwischen Bonn, Singapur und Leipzig. Staune, staune und brav geklatscht!

Die letzte „Talk-Runde mit Experten“ erinnerte eher an ein Seminar mit dem Thema „Wie erobere ich den Osten“. Da ging's um Strategien, wie die Wirtschaft am besten in Osteuropa investieren könne. Den beiden russischen Experten blieb da nur der Part, über erste digitale Leitungen zwischen Moskau, St. Petersburg und Dänemark zu berichten.

So wurde in Leipzig zwar permanent die Einbahnstraße von West nach Ost beklagt. Doch besser gemacht wurde es nicht. Keine Spur von dem anderen Blick auf den Westen, den MDR-Hörfunkchefin Karola Sommerey noch als so großes Plus von Leipzig und dem ganzen Osten pries. So bleibt den Medienstädtern von Leipzig wohl nur, den Rat von RTL-Chef Helmut Thoma zu befolgen und sich zum Kreativzentrum zu mausern.

Kein uneigennütziger Vorschlag von Thoma. Denn dem scheinen die Ideen auszugehen. Konnte es sich Thoma doch nicht verkneifen, in den Medienethik- Debatte darauf hinzuweisen, daß Information und Unterhaltung keineswegs Gegensätze sind und zum Beweis anführen, daß „Jurassic-Park“ bewirke, daß man in Deutschland bald mehr über Dinos wisse als über die gemeine deutsche Milchkuh. Ein Kalauer, den Thoma schon auf der Funkausstellung mindestens einmal täglich muhte. Frank Sturm