■ Wie man Kampagnen für die „Innere Sicherheit“ lanciert
: Neue Feindbilder braucht das Land!

Wie jeder Mensch „seine“ Krankheit hat, so hat auch jede Gesellschaft ihre Verbrechen. So, wie der Mensch sein Leben ändern muß, um mit „seinen“ Krankheiten fertig zu werden, muß sich eine Gesellschaft ändern, um den zu dieser Gesellschaftsstruktur gehörenden Verbrechen den Boden zu entziehen. Der Begriff „Verbrechensbekämpfung“ setzt bei den Symptomen an und suggeriert, durch Eingriffe und Repression sei für den Menschen „Innere Sicherheit“ zu realisieren. Doch Repression in der Form absoluter Sicherheit würde absolute Unfreiheit, also Polizeistaat bedeuten.

In dem Maße, in dem in Gesellschaft und Politik Perspektiven fehlen (oder nicht entwickelt werden), anstehende Probleme zu bewältigen, setzen viele Menschen auf Repression. Sie glauben daran, daß eine Politik des Law and order ihre Sicherheit verbessern könne. Ein solches Verhalten ist die Antwort für das Versagen gesellschaftsverändernder Politik. Die Überbewertung polizeilicher Sicherheitspolitik ist stets ein Surrogat für mißlungene oder fehlende Gesellschaftspolitik.

Niemand bestreitet, daß neue Entwicklungsformen einer auf Gewinnmaximierung beruhenden Ökonomie auch neue Formen der Kriminalität hervorbringen. Zeitgemäße Strafverfolgung muß sich auf diese neuen Formen einstellen, muß neue Methoden entwickeln und – wenn dies nachgewiesen wird – auch mit neuen Befugnissen ausgestattet werden. Doch weil sie die Ursachen einer solchen Schwerstkriminalität vielfach nicht wahrhaben und gesellschaftliche Möglichkeiten einer Veränderung oder Eindämmung nicht realisieren wollen, setzen die neuen Konservativen auf Repression. Repression heißt in diesem Zusammenhang zunächst: Glaube an Kontrolle und Gesetze sowie an damit verknüpfte neue Eingriffsbefugnisse der Exekutive.

Das Spiel mit der Angst

Politisch sind solche zusätzlichen Befugnisse nur durchzusetzen durch das Schüren von Angst. Um Angst zu erzeugen, braucht man Feindbilder. Feindbild heißt: Ein politisch-gesellschaftliches Problem wird nicht im Sinne einer rationalen Bewältigung analysiert, sondern irrational und projektiv. Feindbilder geben Halt, weil Feinde einen. Insbesondere Staatsmacht beruht auf Abgrenzung. Deshalb braucht Staatsmacht, die nicht das „gute Leben“ von Bürgerinnen und Bürgern zu realisieren vermag, Feindbilder. In diesem Sinn sind Mafia und Organisierte Kriminalität Feindbilder. Nur wer in der Lage ist, den Unterschied herauszuarbeiten zwischen einem politisch-gesellschaftlichen Problem und einem Feindbild, dem gelingt es auch, politischen Kampagnen entgegenzutreten, die auf Feindbildern beruhen.

Es gibt unbezweifelbar auch in der Bundesrepublik bei Verbrechen mafiaähnliche Strukturen. Doch durch den juristisch letztlich nicht faßbaren Begriff Organisierte Kriminalität wird „OK“ zum Feindbild. Dieser „Feind“ ist unheimlich und nicht greifbar. Es entsteht ein Bedrohungsszenarium. Zugleich entlastet dieses Feindbild: Wir selbst (oder die gegenwärtigen Strukturen von Gesellschaft und Staat) haben damit nichts zu tun!

Um einen Feind „auszuschalten“, ist jedes Mittel recht. Weil Feindbilder die Menschen in eine Entweder-oder-Situation des Kampfes bringen, darf es nichts Drittes geben. Feindbilder sind ein Instrument, Menschen auf Krieg einzustellen: Auf einen Antidrogenkrieg (wie in den USA) oder auf „Bekämpfung“ der Organisierten Kriminalität. Zur Feindbekämpfung sind „unabweisbar“ spezifische Eingriffsbefugnisse erforderlich. Das Bedrohungsszenarium erschlägt die rationale Überprüfung, die sonst übliche Zweck- Mittel-Relation.

Zugleich wird die Beweislast umgekehrt: Nicht mehr derjenige, der eine Veränderung anstrebt, muß nachweisen, daß die angestrebten neuen Eingriffsbefugnisse verfassungsrechtlich zulässig und ein adäquates Mittel sind; statt dessen wird jeder Kritiker, der sich auf Verfassungsgrundsätze oder auf vorstaatliche Menschenrechte beruft, mit der Frage konfrontiert: Wie können wir denn sonst den Gefahren – etwa des „Drogengeldes“ und der Inbesitznahme ganzer Volkswirtschaften und Staatsapparate durch „Drogenorganisationen“ – entgegentreten?

Umfrageergebnisse zeigen: Persönliche Sicherheit gehört in den Augen der Bevölkerung zu den drängendsten Problemen. Die meisten Menschen denken dabei an die steigende Zahl von Wohnungs- oder Autoeinbrüchen, an Unsicherheiten auf Bahnhöfen oder abends auf dem Wege nach Hause. Die Bevölkerung erwartet, daß Politik auf diese Ängste reagiert und Alltagskriminalität zurückdrängt. Fachleute weisen jedoch nach, daß die genannten Delikte vielfach deshalb so zunehmen, weil sich Drogenabhängige Geld beschaffen für neue Drogen. Deshalb fordern sie eine andere Drogenpolitik, die die Probleme der Drogenabhängigen nicht verdrängt, sondern auf Hilfe setzt.

Bundesregierung und Union versuchen den Sicherheitserwartungen der Bürgerinnen und Bürger durch Kampagnen für „Innere Sicherheit“ zu entsprechen. Man suggeriert damit, wenn nur alles getan würde, wäre eine wirksame „Kriminalitätsbekämpfung“ möglich. Das Wort Kriminalitätsbekämpfung appelliert an die geheime Sehnsucht vieler Menschen nach Geborgenheit und heiler Welt und erweckt – zusammen mit dem Begriff Innere Sicherheit – den Eindruck, Schwerstkriminalität sei mit zusätzlichen Eingriffsbefugnissen zu verhindern.

Das immergleiche Schema

Seit mehr als zwei Jahrzehnten laufen solche Kampagnen nach immer demselben Schema. Am Anfang steht ein Ereignis, das die Bevölkerung aufwühlt, oder ein Bedrohungsszenarium; dann werden neue Eingriffsbefugnisse gefordert; gleichzeitig melden sich unterstellte Polizeibeamte mit der Forderung nach solchen Rechten zu Wort, es gibt auch Medien, die sich engagieren; am Ende steht immer eine neue wichtige Einschränkung grundlegender Freiheitsrechte. Wer die Gewichtsverschiebungen der vergangenen zwei Jahrzehnte zuungunsten des Bürgers im Polizei- und Strafprozeßrecht auflistet, wird ignoriert oder zum Querulanten abgestempelt.

Gegen Kampagnen in Sachen Innerer Sicherheit und gegen dieses Spiel mit den Sicherheitsängsten der Menschen kommt nicht an, wer nachgibt. Bei der Politik der Inneren Sicherheit handelt es sich um Techniken, Wahlen zu gewinnen, nicht um das Lösen gesellschaftlicher Probleme. Zugleich läßt sich mittels solcher Kampagnen die Vorstellung vom „starken Staat“ durchsetzen. Jeder, der für Zugeständnisse plädiert, um den Wahlkampf besser bestehen zu können, muß wissen: Es gibt gegenüber solchen Kampagnen keine Sättigungsgrenze. Die Forderung für den Wahlkampf von morgen wird schon heute vorbereitet. Gestern ging es um „Verdeckte Ermittler“ (denen die Verwirklichung von Straftatbeständen verboten ist) und um „Personenbegleitsender“ (zum Schutze solcher Personen); heute geht es darum, daß Verdeckte Ermittler Straftaten begehen dürfen, und um den „großen Lauschangriff“. Gegen diese Art von Gefräßigkeit hilft nur strikte rechtsstaatliche Diät! Jürgen Seifert

Der Autor ist Verfassungsjurist und lehrt in Hannover. Gekürzter Vorabdruck aus dem Buch „Innere Unsicherheit“, hrsg. von Eva Kampmeyer und Jürgen Neumeyer, erscheint im Oktober