Arafats Pistole muß im Hotel bleiben

Vor der historischen Begegnung des PLO-Chefs und des israelischen Ministerpräsidenten im Weißen Haus befindet sich das offizielle Washington in heller Aufregung  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Stellt Euch vor, Arafat kommt ins Weiße Haus – und alle klatschen. Vor dem Hintergrund der bahnbrechenden politischen Entwicklungen im Nahen Osten in den letzten beiden Wochen muß einen zwar nichts mehr verwundern. Trotzdem: Seit klar ist, daß sowohl der PLO-Führer als auch der israelische Ministerpräsident heute in Washington sein und sich möglicherweise die Hand geben werden, schüttelt man wieder ungläubig den Kopf. Und allein der Umstand, daß das Protokollteam im Weißen Haus überhaupt die Möglichkeit einer Umarmung der beiden in Betracht zieht, läßt die Hardliner fassungslos nach Luft schnappen. Zugegeben, so viel zur Schau getragene Versöhnungsbereitschaft ist unwahrscheinlich.

Fakt ist: Jassir Arafat ist gestern aus Tunis Richtung Washington abgeflogen – nachdem er im Beisein von US-Konsularbeamten einen Visumantrag ausgefüllt hatte. Auf diese Formalie zu verzichten, dazu mochte man sich in Washington offenbar nicht durchringen. Doch dieses Mal dürfte im Gegensatz zu 1988 dem Antrag nichts im Wege stehen. Damals hatten die USA Arafat die Einreise verweigert, als der vor der UNO auftreten wollte. Nach einem Gespräch mit US-Außenminister Warren Christopher kündigte Samstag nacht auch Israels Ministerpräsident Rabin sein Kommen an.

Ursprünglich wurde nur mit der Anwesenheit von Israels Außenminister Schimon Peres und Mahmoud Abbas alias Abu Mazen, der für die PLO die Geheimverhandlungen in Oslo überwachte, gerechnet. Ob die beiden nun unter den Augen ihrer Chefs das Abkommen unterzeichnen werden, das als ersten Schritt den Palästinensern im Gaza-Streifen und in der Stadt Jericho eine begrenzte Selbstverwaltung garantieren soll, war gestern noch unklar. Möglicherweise greifen auch Arafat und Rabin selbst zur Feder – letzterer nicht zuletzt, weil er damit seinem Erzrivalen Schimon Peres aus dem Scheinwerferlicht zerren könnte.

Unterdessen ist in der Protokollabteilung und unter den Sicherheitsbeamten in Washington fieberhafte Aktivität ausgebrochen. Organisatorische Probleme reichen von der Verteilung der 2.500 Tickets für die Zeremonie auf dem Rasen des Weißen Hauses über strenge Sicherheitsvorkehrungen bis zur Frage, wie deutlich man Arafat bitten muß, seine Pistole im Hotel zu lassen. Zu den geladenen Gästen gehören neben dem österreichischen Bundeskanzler Alois Mock unter anderem die Außenminister Norwegens, Spaniens, Japans und Tunesiens, das gesamte diplomatische Corps in Washington, alle Kongreßmitglieder sowie prominente Vertreter jüdischer und arabischer Organisationen in den USA. Rußland, neben den USA Schirmherr der Friedensgespräche, ist durch seinen Außenminister Andrej Kosyrew vertreten, der bei der Zeremonie im Weißen Haus mit an dem Tisch sitzen darf, an dem die Unterschriften geleistet werden.

Einen zumindest dürfte bei der Zeremonie das Déjà vu überkommen. Ex-Präsident Jimmy Carter wird sich an jenen Moment vor vierzehn Jahren erinnern, als er auf einem Podium in Camp David saß – eingerahmt vom israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und dem ägyptischen Präsidenten Anwar el-Sadat, die damals das israelisch-ägyptische Friedensabkommen unterzeichneten. Dieser Moment war nicht nur symbolisch, sondern auch politisch eine Sternstunde für die US-Außenpolitik. Bill Clinton kann sich heute in ähnlichem Licht sonnen – obwohl er, im Gegensatz zu Carter, keine Lorbeeren beanspruchen darf.

Denn die US-Regierung wurde von den Osloer Gesprächen und ihren Folgen genauso überrascht wie der vielzitierte Mann auf der Straße. In den folgenden Tagen legte Clinton dann eine schon fast befremdliche Indifferenz gegenüber den sensationellen Entwicklungen an den Tag. Nachdem Schimon Peres die US-Administration über den Durchbruch in Oslo informiert hatte, hatte es immerhin eine Woche gedauert, bis der US- Präsident mehrere Staatschefs im Nahen Osten um Unterstützung für den sich anbahnenden Friedensprozeß bat.

Die ist nun, nach verstärkten US-Aktivitäten, für die nächste Zeit offenbar gesichert. Einem Abkommen zwischen Israel und Jordanien werden nach Berichten der New York Times zur Zeit unter Vermittlung von US-Außenminister Christopher die letzten Schliffe verpaßt. Die Unterzeichnung ist für Dienstag im State Department anvisiert. Sowohl Syrien als auch den Libanon konnte Clinton mit emsiger Telefondiplomatie in den letzten Tagen dazu bewegen, Vertreter zu der heutigen Zeremonie im Weißen Haus zur Unterzeichnung des Abkommens zwischen Israel und der PLO zu entsenden. In dem 30minütigen Telefongespräch mit Syriens Staatschef Hafis el-Assad versicherten sich beide ihrer Unterstützung für den Friedensprozeß. Eine der zentralen Aufgaben Clintons wird sein, an die Geduld Assads zu appellieren, wenn auf ein israelisch-palästinensisches Abkommen ein syrisch-israelisches Abkommen nicht so schnell folgt, wie Assad es möchte. Darin würde es unter anderem um die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien gehen.

Clinton, der nach wie vor in den US-Medien vor allem durch innenpolitische Themen wie die Gesundheitsreform präsent ist, äußerte sich am Sonntag in einem Interview mit der New York Times erstmals ausführlich zum Friedensprozeß zwischen Israel und der PLO. Adressat seiner Ausführungen war offenbar nicht nur die amerikanische, sondern auch die israelische Öffentlichkeit, der er mehrmals die vorbehaltlose Unterstützung der USA versicherte. Ob die Clinton-Administration nun plant, die jährliche Finanzhilfe an Israel aufzustocken, war dem Präsidenten nicht zu entlocken. Doch laut New York Times will Washington Israel bei der Verlegung seiner Truppen aus dem Gaza-Streifen und Jericho finanziell unter die Arme greifen.