„Man kann von Kannibalismus sprechen“

■ Jack Lang zum Thema Gatt: Film muß ausgenommen werden

Jack Lang, ehemaliger Kulturminister Frankreichs, war schon immer ein Freund des europäischen Kinos. Falls die Politiker nicht hören, sagt er, braucht es „regelrechte Aktionskommandos“.

taz: Monsieur Lang, Sie haben während des internationalen Autorensymposiums in Venedig, dessen Vorsitz Sie übernommen haben, vom Erstickungstod des europäischen Kinos gesprochen ...

Jack Lang: Nicht nur des europäischen Kinos, sondern des weltweiten nichtamerikanischen Kinos. Brasilien zum Beispiel hat 1992 ganze zwei Filme gedreht, Italien etwa vierzig gegenüber dreihundert in den guten Jahren. Deutsche Filme liefen in etwa 4 Prozent der deutschen Kinos, und in Prag läuft zur Zeit nicht ein einziger tschechischer Film. Man kann von einer Art Kannibalismus sprechen; wir leben in einer tödlichen Umarmung durch amerikanische Filme.

Und Sie glauben, durch Protektionismus könnten Sie Abhilfe schaffen? Was versprechen Sie sich davon, audiovisuelle Produkte aus den Gatt-Verhandlungen auszunehmen?

Es geht nicht um Protektion; die Amerikaner haben doch Zugang zu allem, was sie wollen, zu den Kinos, den Fernsehanstalten, was wollen sie noch? Die audiovisuellen Produkte müssen aus den Gatt- Verhandlungen ausgenommen werden, um das Ungleichgewicht zwischen uns und den Amerikanern auszugleichen. Um das Aussterben des europäischen Kinos zu verhindern. Um das Recht unserer Nationen auf ihr kulturelles Erbe zu sichern und das Recht der Autoren, das heißt der Regisseure, der Drehbuchschreiber und so weiter auf ihr Produkt zu sichern; der Final Cut muß beim Autor bleiben, nicht bei irgendeiner Fernsehanstalt, die kürzt und Werbung dazwischen schneidet und so weiter. Die Menschen haben ein Recht auf Erinnerung: Film muß konserviert werden. All dies wird von amerikanischen Autoren ja durchaus verstanden; die „Artists Rights Foundation“, in der die wichtigsten Filmemacher Mitglied sind, hat sich im Sinne dieser Resolution an den Kongreß gewandt.

Warum kommt diese Diskussion über Copyright und Marktanteile eigentlich jetzt erst auf?

Eben wegen des Aussterbens nationaler Filmproduktionen. Wir brauchen jetzt regelrechte Aktionskommandos, wenn es sein muß, auch eine Besetzung von Brüsseler Büros, so daß Regierungsmitglieder, die so zynisch sind, Versammlungen wie diese hier in Venedig oder die in Bern zu ignorieren, gezwungen werden, zu handeln. Interview: mn