Nachschlag

■ Brahms, Beyer und David bei den Berliner Festwochen

„Musik ... sie ist das halb Artikulierte, das Zweifelhafte, das Unverantwortliche, das Indifferente. Vermutlich werden Sie mir einwenden, daß sie klar sein könne. Aber auch die Natur kann klar sein, auch ein Bächlein kann klar sein, und was hilft uns das?“ – so läßt Thomas Mann im Zauberberg den aufklärerisch begeisterten Settembrini formulieren.

Musik dreier Komponisten, die sich in friedlich-ruhiger Haltung und im Verzicht auf musikalisch-revolutionäre Attitüde einen, brachte das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin im Rahmen der Berliner Festwochen Samstagabend im Schauspielhaus zur Aufführung. Brahms' Erste Sinfonie, oftmals jovial als „Beethovens Zehnte“ oder, böser noch, als „Brahms' Neunte“ bezeichnet – da sie über die großformatige Anlage hinaus die gleich numerierte Sinfonie Beethovens überdeutlich zitiert –, setzte den Schlußpunkt des Abends, wohingegen ein Variationswerk des nicht allzu häufig gespielten österreichischen Komponisten Johann Nepomuk David, etwa zwanzig Jahre nach Schönberg geboren, eröffnete. Die fünf kompositionstechnisch besonders in den kontrapunktischen Formen äußerst virtuosen Variationen auf den Bachchoral „Was bist Du doch, o Seele, so betrübet“ (das Thema erstaunt ob des Entstehungsjahres 1942 kaum) aber sind nicht weniger rückwärtsgewandt denn Brahms' erste Sinfonie. Gustav Mahlers Kindertotenlieder werden in der zweiten Variation kurz zitiert, und dessen erster Sinfonie wird nicht nur mit einem Anklang an das berühmte „Frère Jacques“ in Moll gehuldigt, sondern auch mit dem über Pauken-Orgelpunkt und Baßostinato geführten Choral, der die Komposition apotheoseartig beschließt – was freilich ob des reduzierten Instrumentariums eines Kammerorchesters gegenüber dem Mahlerschen Original etwas mager wirkt.

Dazwischen aber stand die Uraufführung eines Auftragswerkes der Berliner Festwochen: das Violinkonzert „Musik der Frühe“ des Berliner Komponisten Frank Michael Beyer. Trotz des hervorragenden Violinspiels des Solisten Kolja Blachers nickte ich zwischendurch einfach ein – und konnte so nur bruchstückhaft der braven Komposition folgen, die vierteilig dem Neue-Musik-Standard folgend die Reprisenform favorisiert und sich stilistisch zwischen mildem Schostakowitsch und üppigem Webern bewegend, Naturbilder beschwört.

Thomas Manns Settembrini aber schließt sein Sinnieren über Musik folgendermaßen: „Die Musik weckt die Zeit, sie weckt uns zum feinsten Genusse der Zeit ..., insofern ist sie sittlich. Aber wie, wenn sie das Gegenteil tut? Wenn sie betäubt, einschläfert, der Aktivität und dem Fortschritt entgegenarbeitet? Auch das kann die Musik, und auf die Wirkung der Opiate versteht sie sich aus dem Grunde. Eine teuflische Wirkung, meine Herren! ... Es ist etwas Bedenkliches um die Musik. Ich bleibe dabei, daß sie zweideutigen Wesens ist. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sie für politisch verdächtig erkläre.“ Fred Freytag