Der Ball ist böse Von Mathias Bröckers

Der Pokal-Fight am Sonntagabend lockte. Doch eine Glosse über Schalke gegen Bayern? – das können die Kollegen vom Sport viel besser. Also blieb die Kiste kalt, und wir wendeten uns zwei Geistes- Kickern der Suhrkamp-Liga zu, die im königsblauen und rot-weißen Dress gerade auf dem Schreibtisch gelandet waren, Hans Magnus Enzensberger („Aussichten auf den Bürgerkrieg“) und Peter Sloterdijk („Im selben Boot – Versuch über die Hyperpolitik“). Hat sich Knappe Enzensberger, nach der schweren Gleichungs-Schlappe „Saddam = Hitler“, wieder erholt, wird er wieder libudamäßig mit essayistischen Dribblings glänzen; und was ist mit dem Profi-Kynisten Sloterdijk, wird er mit tödlichen Pässen aus der Tiefe des Seelenraums aufwarten, oder bleibt's bei neo-gnostischem Klein-Klein und euro-taoistischem Standfußball? So ungefähr lauteten die Fragen vor dem Anstoß, und HME (von links nach rechts) beantwortet sie gleich mit der ersten Kombination: „Tiere kämpfen, aber sie führen keine Kriege. Der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt.“ Die Zuschauer ahnen: Die Königsblauen greifen auf das alte Konrad-Lorenzsche System „Der Ball ist böse“ zurück. Und tatsächlich bleiben die folgenden 90 Seiten bei diesem taktischen Konzept – von Graffitis und Vandalismus über Neofaschismus und Ausländer-Pogrome bis zum Gemetzel in Bosnien – überall, so demonstriert HME, gilt das Diktum: Der nächste Gegner ist immer der übelste. „Der einzig mögliche Schluß ist, daß die kollektive Selbstverstümmelung nicht ein Nebeneffekt ist, der in Kauf genommen wird, sondern das eigentliche Ziel.“ Wenn das so simpel wäre, warum hat die Gattung Mensch seit Hunderttausenden von Jahren nichts Besseres zu tun, als sich fortzupflanzen? „Wie koexistiere ich mit 1.200 Millionen Chinesen? Auf diese Frage ist jede Antwort erlaubt, nur nicht mehr die alte Klein-Weltmaxime: Vergiß die Chinesen, vergiß überhaupt alle, die zu viele sind.“ Während HMEs „Ball ist böse“-Strategie am Ende nur ein Plädoyer für den banalen Ausputzer bleibt („Vor jeder Haustür brennt es“), geht PS im Trippelpaß von der Urhorde über die agrarische Kleinwelt zur Globalgesellschaft einen Schritt weiter und fragt, wie es denn kommt, daß es im Strafraum der Menschheitsgeschichte permanent lodert. Seine Diagnose: Der Menschenkopf ist rund, und wenn das Denken die Richtung wechselt, sich in neue Weltformen integrieren muß, gerät es leicht durcheinander. Nicht weil es konstant böse wäre, sondern als „Kleingruppentier“ dem „Großwelt-Streß“ nicht gewachsen ist und mit Panik und Paranoia reagiert. Das brutale Gemetzel in Bosnien wäre demnach als „Selbstdarstellung einer Nation in Abtreibungspanik“ zu sehen, die weniger durch lokale rote Karten als durch globale Regeländerungen, „politische Therapie von nationalen Weltformpsychosen“, zu lösen ist. Solange wir uns domestizierten Primaten kein Behagen an der Weltkultur verschaffen, so lange stehen derlei böse Geburtswehen ins Haus. Zwar verläßt auch PS am Ende das Feld eher ratlos und plädiert für eine „Denkpause“, seine weiträumige, Reflexions-Felder eröffnende Spielweise erweist sich dem braven Enzensbergerschen Riegel dennoch überlegen – mit viel Glück gewinnen die Bayern 3:2.