Einmal am Olymp geklopft

■ Kickers Offenbach – Werder Bremen 4 : 6 n.E. / Die Kickers sind zwar vom Deutschen Meister besiegt, aber wieder einmal nicht geschlagen worden

Offenbach (taz) – „Besiegt, aber nicht geschlagen“, steht auf der kleinen Tafel neben dem Presseraum, die anläßlich des Bundesligaaufstiegs 1968 unter der Tribüne des Stadions am Bieberer Berg installiert wurde. Gemeint war das denkwürdige Endspiel von 1959 zwischen der Frankfurter Eintracht und den Offenbacher Kickers, in dem sich die Riederwälder von der anderen Mainseite mit 5 : 3 in der Verlängerung durchsetzen konnten.

„Besiegt, aber nicht geschlagen“, hieß es am Sonntag nachmittag erneut für die mittlerweile in die Hessenliga abgerutschten Kickers, als sie in der dritten Pokalrunde auf den amtierenden Meister aus Bremen trafen und nach 120 Kampfminuten, zwei Toren und zehn Elfmetern ausscheiden mußten. Ein toller Pokalfight.

Es war wie in alten Zeiten, als das Stadion mit knapp 20.000 gut gefüllt war, und „am Berg“ endlich wieder Bundesliga-Atmosphäre herrschte. Als seien sie von Hermann Nubers (legendärer Kickers- Mittelläufer) berühmtem Ochsenblut-Krafttrunk gestärkt worden, boten an diesem Sonntag nachmittag elf tapfere Offenbacher den Großen aus dem Norden auf so unverschämte Weise Paroli, daß es dem neutralen Beoachter nur schwer möglich war, einen Klassenunterschied festzustellen. Spätestens nachdem die Bremer Anfangsoffensive, in der das genialische Moment ob der verletzungsbedingten Abwesenheit von Andreas Herzog schmerzlich vermißt wurde, abgefangen war, steigerten sich die Kickers über Einwürfe, Eckbälle und gewonnene Zweikämpfe zu einem gleichwertigen Gegner. Eine Pokalbegegnung von britischer Qualität entwickelte sich, die durch hohen Unterhaltungswert zu gefallen wußte.

Vergessen waren für zwei Stunden die bedauernswerten Szenerien aus der Hessenliga, in denen sich der OFC mit Mannschaften aus Bad Vilbel, Egelsbach oder Lohfelden abmühen muß und die Lederkugel zuweilen wie einen Luftballon auf einem Kindergeburtstag behandelt. Gegen den Meister aus Bremen spielten die Kickers mit, und das Publikum dankte es ihnen mit einer einzigartigen Mischung aus Tobsucht („OFC!“), Hysterie („Kickers!!“), Minderwertigkeitsgefühl („Eintracht, verrecke!“), Verfolgungswahn („Scheiß DFB!“) und Begeisterung („Kickers!“). Der Berg bebte wie einst, als Thomas Biehrer in der 102. Minute die kurz zuvor durch einen Rufer-Kopfball erzielte Führung der Bremer per Freistoß egalisieren konnte. Ein Tollhaus: 20.000 Delphine aller Altersklassen tollten auf den Tribünen. „Da bleibt man jung als Rentner“, orakelten die Weisen der Fans schon vor dem Spiel.

Selbst Werder-Trainer Otto Rehhagel konnte sich dieser Stimmung nicht erwehren, wie er ohne seine üblichen Ausschweifungen im Anschluß an die Partie zugab. „Diese Begeisterung, diese Hingabe, das ist schon einmalig. Wie vor 20 Jahren, als ich hier meine erste Bundesliga-Station erlebte. Wir haben Riesenglück gehabt.“ Und einen Olli Reck, der ebenfalls ein altes Kickers-Gewächs ist. Viermal vereitelte er „Tausendprozentige“ (Hansi Müller), als jeweils Christos Figas allein im Fünfmeterraum auftauchte. Der langmähnige „Mittelfeld-Verbinder“ (Offenbach Post) hätte ohne Zweifel zum König von Offenbach werden können, wären ihm in diesen Augenblicken ein wenig mehr Nervenstärke und Fortüne zur Seite gestanden. So blieb es dem unglückseligen Kickers-Stürmer Claus Schäfer überlassen, für die Entscheidung zu sorgen: In klassicher Bauernmanier jagte er seinen Elfer nicht in die Maschen, sondern auf die Tribüne, was ihm bei seinem Trainer Lothar Buchmann eine gehörige Schelte einbrachte und Werder die nächste Runde.

Da war er wieder, der Kickers- Moment: der jähe Trümmerhaufen, die nie endende Sisyphusarbeit, die vergebliche Liebesmüh, der entrissene Glücksmoment. Einmal am Olymp geklopft und tschüs. Die Kickers-Fans („einsame Männer, schöne Frauen“) kennen das schon seit ewigen Zeiten. In den kommenden Wochen stehen wieder Wiesbaden, Fulda und Hoechst vor der Tür: bitterer Hessenliga-Alltag. Ein Trost bleibt: Die Kickers sind zwar vom Deutschen Meister besiegt, aber nicht geschlagen worden. Andreas Lampert