Operation gelungen, Patient skeptisch

Somalias zwei Gesichter: Während Mogadischu im Krieg versinkt, hat sich die „Todesstadt“ Baidoa erholt / Kein Hunger mehr, dafür politischer Streit und eine somalische Polizei  ■ Aus Baidoa Sinikka Kahl

Das Schulgebäude hat ein neues Wellblechdach bekommen und leuchtet weiß: frisch gestrichen. Drinnen sitzen Kinder auf Bastmatten – links Jungen, rechts Mädchen. In den Händen halten sie zerfledderte Hefte, von Hilfsorganisationen verteilt, vor ihnen stehen ihre Schulranzen, eigentlich ausgediente Essenrationsbüchsen von UNO-Soldaten. „Wir sind Studenten!“ singen sie und strahlen. „Wir sind die Blüte der Nation!“

Während die UNO sich in Mogadischu in einen blutigen Krieg mit Anhängern des Milizenchefs General Farah Aidid hineingezogen hat, ist das Bild außerhalb der somalischen Hauptstadt ganz anders. Wer Baidoa zuletzt vor einem Jahr sah, wird es heute nicht wiedererkennen. Damals galt der südsomalische Ort als „Todesstadt“, in dem die UNO mit dem Hungertod jedes Kindes unter fünf Jahren rechnete. Oft wurden die Leichen den Ratten überlassen, da keiner die Kraft hatte, sie zu begraben. Noch im Januar war die Klinik des „International Medical Corps“ (IMC) in Baidoa voll von spindeldürren, leblosen Kindern mit hohlen Augen. Jetzt sind nur noch wenige da, und sie leiden nicht an Hunger, sondern an Tuberkulose.

„Manchmal bekommen wir noch unterernährte Patienten“, berichtet Abdulkadir Houdow Osman, Chefpfleger an der IMC-Klinik. „Sie kommen von den umliegenden Dörfern. Nicht überall war die Ernte gut.“ Von Hungersnot sprechen die Hilfsorganisationen in Somalia aber nicht mehr. „Die Ernährungslage in Somalia ist die eines durchschnittlichen afrikanischen Landes“, sagt Jouko Ala- Outinen, ein Projektmanager des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) in Mogadischu.

Auf den Straßen von Baidoa drängen sich jetzt Marktstände mit Zigaretten und Spaghetti, mit Mangos und italienischem Speiseöl. In Teehäusern aus Zweigen palavern die Männer, Verkäufer der Droge Kat sortieren frische Zweige in kleine Bündel zum Verkauf. Es gibt sogar Koranschulen, betrieben von Somalis. Dagegen ist die staubige Ebene außerhalb der Stadt, einst voller Elendshütten, leer. Drei Viertel der früher etwa 40.000 Flüchtlinge in Baidoa sind nach Hause gegangen. „Dank der verbesserten Sicherheit kehren die Bauern in ihre Dörfer zurück“, sagt Bashir Haji von der Hilfsorganisation „Care“.

Nur die Straße nach Mogadischu gilt als unsicher. Von den 55 Patienten in der IMC-Klinik haben 17 Schußverletzungen. „Es gibt noch so viele Gewehre“, seufzt ein Clanältester mit zerfurchtem Gesicht und behauptet: „Das belastet mich.“ Die UNO hat die Bevölkerung auch hier nicht entwaffnen können. Telefon oder Strom gibt es noch nicht. „Nach dem Krieg haben viele Somalis keinen Pfennig mehr, den sie investieren könnten“, sagt der Lokalpolitiker Jussuf Moalin Amin. „Außerdem sind sie noch nicht sicher, daß der Frieden hält. Sie warten ab.“

Die Überwindung des Hungers und die Herstellung von Sicherheit waren nur die ersten Schritte im Wiederaufbau Somalias. Der Test für die UNO besteht in der Herausforderung, den Somalis wieder Macht zu übertragen.

Auf den Straßen von Baidoa gibt es inzwischen somalische Polizisten, in khakigrünen Uniformen mit Kalaschnikow-Gewehren. Weder UNO-Soldaten noch Milizionäre, machen sie einen seltsamen Zwittereindruck. Insgesamt gibt es nur 80 von ihnen, und lediglich die Hälfte ist bewaffnet. Es gibt in Baidoa auch ein Gericht mit einem somalischen Richter und ein Gefängnis.

Viele somalische Städte haben nach UNO-Angaben jetzt eigene Polizeikräfte. Insgesamt sollen auch um die 20 Lokalräte (district councils) gebildet worden sein. Nach UNO-Plänen soll Somalia insgesamt 92 Lokalräte erhalten, 1995 soll eine nationale Regierung gewählt werden. Der Lokalrat von Baidoa hat 21 Mitglieder, ausgesucht von den Clanältesten. Sie vertreten die diversen Subclans des wichtigsten Clans der Region, der Rahanweyn, und wirken bei der Planung der Arbeit der Hilfsorganisationen mit. Bald sollen sie auch Steuern eintreiben.

„Die UNO hat den Rat fürchterlich überstürzt wählen lassen“, beschwert sich Abdulkadir Mohammed Adan, ehemaliger Vizepräsident in der ephemeren somalischen „Interimsregierung“ von Ali Mahdi im Jahre 1991 und heute Führer der Mahdi-treuen Fraktion der in Baidoa herrschenden politischen Gruppe SDM (Somali Democratic Movement). „So geht das nicht in Somalia. Die UNO respektiert die somalischen Traditionen nicht. Der Rat hat keine richtigen Befugnisse.“ Andere sagen, die Eile habe dazu geführt, daß Korruption und Nepotismus die Zusammensetzung des Rats bestimmt haben. Der Hawiye-Clan, in dieser Gegend die Minderheit der Bevölkerung, klagt, er sei überhapt nicht vertreten. Die UNO ihrerseits ärgert sich über die somalische Tradition der Endlossitzungen. „Die UNO sagt immer: Wir Somalis müssen Eigenverantwortung übernehmen. Aber wenn wir Vorschläge machen, hört die UNO nicht zu“, meint Ratsvorsitzender Ibrahim Ali Bayo.

Während sich die Stadtbevölkerung in Gesprächen eher zufrieden mit der Arbeit der UNO zeigt, fühlen sich die bewaffneten politischen Gruppen – die Kontrahenten des Bürgerkrieges – außen vor gelassen: Sie haben in den Räten keine Sitze. Jussuf Omar Jiis, Führer der Aidid-treuen SDM-Fraktion in Baidoa, gesteht zumindest ein, daß „die Polizei und das Gericht gute Arbeit leisten“. Aber Hassan Mohammed Nur von der Mahdi-treuen SDM-Fraktion schimpft: „Die UNO hat ihr Wort nicht gehalten. Der Wiederaufbau Somalias sollte auf dem Friedensabkommen von Addis Abeba gründen, das auch von den politischen Gruppen unterschrieben wurde.“

„Die politischen Gruppen können ein Problem werden“, meinte kürzlich ein italienischer Diplomat in Mogadischu. Ein viel größeres Problem aber ist die Lage in Mogadischu. Zwar hat es in Baidoa keine Proteste gegen das Vorgehen der UNO gegen General Aidid gegeben – aber nur wenige Angehörige von Aidids Subclan der Habr-Gedir leben in Baidoa. „In Zentralsomalia, wo viele Aidid- Anhänger leben, könnte die UNO in große Schwierigkeiten geraten“, sagt Jussuf Moalin Amin, der eine dritte, neutrale SDM-Fraktion in der Stadt führt.

„Die Lage in Mogadischu hat großen Einfluß auf die Stimmung im Rest des Landes“, sagt der US- Sonderbeauftragte für Somalia, Robert Gosende. „Wenn es in Mogadischu keinen Frieden gibt, werden wir bei der Entwicklung des ganzen Landes auf Grenzen stoßen.“ Sinikka Kahl