Sanssouci
: Vorschlag

■ Shakespeare-Filmfestival

Die charmantesten Shakespeare-Verfilmungen sind zweifelsohne die ersten, stummen Kurzfilme aus der Zeit, als das Kino sich noch als ungeliebter Bastard des Theaters fühlte, als Massenspektakel fürs lärmende Großstadtproletariat – eine Jahrmarktsgaudi. Die zweite Shakespeare-Verfilmung überhaupt wurde dementsprechend auf der großen Pariser Weltausstellung 1900 gezeigt und war in jeder Hinsicht eine Sensation: Sarah Bernhardt, deren Spiel auf den Titelseiten der Boulevardpresse mit den Wirkungen der Elektrizität verglichen wurde, präsentierte in einer behosten Duell-Szene den tänzerischsten Hamlet, den man je gesehen hatte. Ein Raunen soll durch den Raum gegangen sein.

Die dritte Kuriosität stammte vom Kinozauberer George Méliès selbst, dem kauzigen Gegenstück zum biederen Realisten Louis Lumière; er zeigte dem erstaunten Publikum im Jahre 1907, wie der Dichter selbst, die Ermordung Caesars imaginierend, im poetischen Furor einen Brotlaib ersticht.

Wie die etwa fünfzig meist einspuligen Kurzfilme, die zwischen 1908 und 1911 entstanden, wollten schon diese beiden mit ihren Cheap Thrills, Pantomimen und Tricks einerseits Attraktionen sein und sich andererseits durch Klassikeradaptionen ins Reich der Hochkultur hieven – Intentionen, die sich stets gegenseitig ein Bein stellten. Schon damals zeichnete sich eine Bevorzugung von „Romeo und Julia“ und „Hamlet“ ab, während die komplizierteren Verwirrspiele wie „Much Ado about Nothing“ (der Filmstart von Brannaghs Version ist der Anlaß der Reihe) bis zur Postmoderne warten mußten. Das Problem liegt auf der Hand: Will man dem Text gerecht werden, leidet das Filmische am Film, und es kommt zum verfilmten Kammerspiel, dem zudem noch die Tiefe des Bühnenraumes fehlt. So waren denn auch die ersten Tonfilm-Shakespeare-Adaptionen ziemlich stagey, reine Rezitationsbebilderungen, die bestenfalls von der BühnenSzene aus Greenaways „Prospero's Books“Foto: Verleih

popularität der Protagonisten lebten (Elisabeth Bergner in Paul Czinners „As You Like It“ ).

Der Sprung in die eigenständige, filmische Auseinandersetzung kam erst mit Sir Laurence Oliviers „Henry V“ (1946), der leider in der Reihe fehlt; das Tivoli hat keine Kopie auftreiben können. Sein „Hamlet“ (1948) war insofern richtungweisend, als er weder historisierte noch deklamierte, sondern das Drama durch labyrinthische Kamerafahrten und die umstandslose Entfernung Rosencrantz' und Guildensterns in einen zeitlos schönen, schaurigen Raum versetzte.

Die Reihe konzentriert sich – mancher mag's bedauern – auf die Tonfilmära, die für das Tivoli mit Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ (1942) beginnt, von dem mir merkwürdigerweise vor allem der Satz „Konzentrationslager-Erhardt? Ich wußte, daß Sie das sagen würden!“ in Erinnerung ist. Dabei ist doch viel wichtiger, daß der Schauspieler Josef Tura („kennen Sie diesen hervoooorragenden Schauspieler Josef Tura?“) jedesmal, wenn er seinen Hamlet-Monolog beginnt, einen aus der ersten Reihe aufstehen sieht, worüber er fast ebenso erzürnt ist wie über den Einmarsch der Nazis in Polen, der sich schließlich aufs komplizierteste mit seinen Privatangelegenheiten verheddert. Wie der Einmarsch zur Posse werden und zugleich nichts von seinem Schrecken verlieren kann – das hat Lubitsch noch niemand nachgemacht.

Die einzige ernstzunehmende Konkurrenz zu Oliviers Filmen kam von Orson Welles, der im Tivoli-Programm dankenswerter Weise mit „Othello“ (1949–52) und „Macbeth“ (1948) vertreten ist. Sein „Othello“, in Marokko und Italien gedreht, war eine der ersten Shakespeare-Verfilmungen außerhalb eines Studios, wodurch die Bühnenhaftigkeit gebannt und eine schaurige Windigkeit in die Chose eingezogen war. Natürlich interessierte sich Welles vor allem für das „Citizen Kane“-hafte im Homo Shakespearean: den mächtigen, egozentrischen Megalomanen, vom Wahnsinn gestreift und von zwielichtiger Erotik geritten.

Die Bühne mit Pomp bekämpft hat Franco Zeffirelli in seinen Historienschinken mit Richard Burton und Elizabeth Taylor und jeder Menge Massenaufzügen. Aki Kurosawa hat die Geschichte von Macbeth ins Japan des 17. Jahrhunderts transponiert und einen Samurai-Epos daraus gemacht mit dem bekannten brillanten Rot, den langgezogenen Augenbrauen und der fast tänzerischen Choreographie der großen Kampfszenen („Das Schloß im Spinnwebwald“, 1957).

Jüngste Shakespeare-Verfilmungen wie Peter Greenaways „Prospero's Books“ oder Peter Brooks „King Lear“ jonglieren mit einem erweiterten Text-Begriff, der die Bearbeitungen des Stoffes ebenso mitliest wie das Original und dessen Übersetzung in Film, und der den dreifachen Salto stets nachzeichnet: Kenneth Brannaghs „Henry V“ eröffnet quasi hinter der Bühne, um nach der Exposition ins Freie zu treten und wieder zurück. Ein strategisches Spiel um einen, der unter seiner Macht leidet. Mariam Niroumand

Shakespeare-Filmfest: vom 16. bis 29. September im Tivoli, Berliner Straße 27 in Pankow, Telefon 472 44 12. Einzelne Spieltermine: siehe Programmteil.