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Schriften zu ZeitschriftenGegen Kretin-Alternativen

■ „Das Argument“ diskutiert neue Strategien des Antifaschismus / Antirassismus

Im 200. Heft fragt Das Argument: „Brauchen wir einen neuen Antifaschismus?“ Vielleicht ist schon die Frage falsch gestellt – nach dem Satz, daß der Faschismus so falsch war, daß nicht einmal sein Gegenteil richtig ist. Aber immerhin wird hier gefragt, und die Autoren haben sich zu Antworten provozieren lassen, an denen manches brauchbar ist.

Wolfgang Fritz Haug, der die Zeitschrift vor 34 Jahren mitbegründet hat, traut heute auch dem höchst verhaltenen Optimismus nicht mehr, der noch vor wenigen Jahren seine eigene Schrift über den Weg vom „hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt“ (1987) kennzeichnete. Die von den Siegermächten etablierte Nachkriegsordnung, in die – vor allem durch die deutsche Teilung – „ein Stück Vergangenheitsverhältnis eingeschrieben“ war, ist zusammengebrochen; werden die Lehren aus der nazistischen Erfahrung nun genauso zerfallen wie jene Weltordnung, die sie einst begründeten? Droht eine neue Barbarei aus historischer Amnesie? Zum Glück vermeiden die Autoren des Hefts die panikartigen Ausfälle in die Geschichtsphilosophie, die üblicherweise auf solche Fragen folgen.

Zygmunt Bauman, Soziologe in Leeds, stellt kühl fest: „Irgendwie hat sich die Scham über die gestrigen Massaker als schwacher Schutz gegen die Schlächtereien von heute erwiesen.“ Seine Arbeit gilt der Vermeidung jener Kretin-Alternativen, vor die man uns heute allenthalben zu stellen versucht: Universalismus oder Partikularismus, Moralismus oder analytische Vernunft, Engagement oder Distanzierung etc. Wer uns solche Paare, die nützliche Unterscheidungen sind, zur Entscheidung vorlegt, macht uns dümmer, als wir uns heute leisten können zu sein: „Wir haben schmerzhaft lernen müssen, daß universelle Werte zwar eine brauchbare Medizin gegen die penetrante Engstirnigkeit des Provinziellen bieten und daß gemeinschaftliche Autonomie ein emotional befriedigendes Stärkungsmittel gegen die blasierte Herzlosigkeit der Universalisten ist, daß aber jede dieser Arzneien, wenn regelmäßig eingenommen, sich in Gift verwandelt.“

Wir brauchen nach Bauman weder einen neuen Antifaschismus noch einen neuen Antirassismus, sondern – um die neue Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit, zu verstehen – zunächst eine Soziologie des Fremden. Bauman versteht darunter nicht etwas Ausgegliedertes, keinen Sonderforschungsbereich „Xenologie“. Die Frage nach dem Fremden, so wie er sie stellt, zielt ins Zentrum des soziologischen Erkenntnisinteresses („Wie ist Gesellschaft möglich?“). Gesellschaftsbildung, sagt Bauman, indem er einen soziologischen Perspektivenwechsel vollzieht, umfaßt immer auch Produktion von Fremden und Fremdheit. Und anschließend daran den Versuch, das Fremde aus dem neu gebildeten sozialen Raum verschwinden zu lassen. Die Verwaltung von Fremdheit durch Zulassungs- und Ausschließungsregeln, durch phagische (einverleibende) und emische (ausstoßende) Strategien ist eine Kardinalfrage jeglicher gesellschaftlichen Herrschaft. Bauman schlägt vor, „die verworrenen, ambivalenten Gefühle, die durch die Anwesenheit von Fremden hervorgerufen werden“, „Proteophobie“ statt „Xenophobie“ zu nennen. (Proteus, der Gott, der keine bestimmte Gestalt hat und sich in alles verwandeln kann, ist der Namensgeber.) Wie soll man dem begegnen? Bauman hält „Antirassismus“ für eine fatale Strategie, weil die Proteophobie nicht nur in Gestalt des rassistischen Diskurses auftritt: Die neue Rechte argumentiert kulturell! „Der größte Fehler ,antirassistischen‘ Widerstands besteht darin, den proteophobischen Sturmtruppen auf deren eigenem Grund entgegenzutreten, den Argumentationsrahmen zu akzeptieren, den sie aufzwingen.“

Bauman weiß natürlich, daß die Neue Weltunordnung und die neuen panischen sozialen Raumbildungsprozesse nach dem Untergang der Pax Sovietica und der Pax Titoica solche Probleme in geballter Form aufwerfen: ein neuer Tribalismus grassiert, von der traurigen Farce (Dolgenbrodt) bis zum blutigen Ernst (Sarajevo). Seine Analyse entmutigt alle jene, die gegen die neuen Stammesfehden den alten Nationalstaat empfehlen: „Das überfüllte UN-Gebäude verheißt nicht den endgültigen Triumph des nationalistischen Prinzips – sondern das nahe Ende eines Zeitalters, in dem soziale Systeme mittels Territorium und Bevölkerung mit dem Nationalstaat identifiziert zu werden pflegten.“ Eher noch als die Renaissance des klassischen Nationalstaats stehen uns nach Bauman haltlose und um so unerbittlichere Nationalismen ohne Staat ins Haus. Die Postmoderne als Schreckensszenario: „Die große Gewißheit ist zerbrochen, aber sie ist dabei in eine Vielzahl kleiner Sicherheiten zersprungen, an die man sich um so heftiger klammert, je armseliger sie sind.“ Jörg Lau

„Das Argument“, Nr. 200, 35. Jg., Heft 4, Juli/August 1993, 14 DM. Kontakt: Interabo, Postfach 103245, 20022 Hamburg, Tel. (040) 23 09 92

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