„... daß sie Arafat nicht bescheißen“

Während sich Rabin und Arafat die Hände schüttelten, herrschte in Ost-Jerusalem Partystimmung / Palästinensische Schläue und saudisches Geld sollen beim Aufbau helfen  ■ Aus Ost-Jerusalem Walter Saller

Murad schlägt Purzelbäume. Politische Purzelbäume freilich. Der junge Ost-Jerusalemer Palästinenser mit jordanischem Paß und israelischem Personalausweis arbeitet im Souvenirladen seines Vaters an der Via Dolorosa in der Altstadt. Alabastertassen und Schmuckdosen, Ikonen und Holzkamele, Plastikkrippen und Rosenkränze bietet Murad feil: das übliche Leidensweg-Sortiment aus Nutzlosem und Frommem. Ungewöhnlich allerdings sind Murads Zukunftshoffnungen, akrobatisch seine politischen Überzeugungen.

Das Abkommen, das der israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin und der PLO-Chef Jassir Arafat in weniger als einer Stunde unterzeichnen werden, hält Murad für einen guten Anfang. Nach 50 Jahren Krieg und Leid seien Palästinenser und Israelis auf dem richtigen Weg. Und vielleicht würden beide ja schon bald echt zusammenarbeiten. Israelisches Know how, saudisches Geld und palästinensische Schläue müßten nur zusammengebracht werden. „Dann werden wir mächtiger als Japan, reicher als Europa.“ Mit Gaza und Jericho allein sei zwar weder ein wirtschaftlicher Boom noch ein Staat zu machen. Aber das sei ja nur der Anfang. Die Israelis könnten in Palästina doch gar kein „Bantustan“ schaffen. „Dazu sind wir zu gebildet.“ Und außerdem würden sie um Jerusalem neue Brücken und Straßen bauen. „Die sind doch längst dabei, Zugänge für ein geteiltes Jerusalem zu schaffen.“

Murad ist ein Anhänger von Arafat: loyal, hoffnungsvoll, optimistisch. Freilich nur bis zum Stichwort „Hamas“. Selbstverständlich habe er sich am Vormittag dem Streikaufruf der Fundamentalisten an- und den Laden abgeschlossen. Und selbstverständlich hätten die Hamas-Leute irgendwie auch recht. Denn wer könne den Juden letztlich schon trauen? „Wer garantiert uns denn, daß sie Arafat nicht bescheißen?“

Ali, der Junge aus dem Nachbarshop mit identischem Sortiment wie Murad, widerspricht. Der Friede werde kommen. Israelis und Palästinenser einträchtig miteinander leben. Zwar nicht unbedingt Tür an Tür, aber Viertel an Viertel. Was ihn denn so sicher mache? Die Antwort ist verblüffend: „Mein Onkel!“ Der habe schon vor einem Jahr Grundstücke an der Straße Jerusalem–Amman auf jordanischer Seite gekauft. Da habe die ganze Familie gewußt, daß etwas im Busch sei und irgendeine Einigung zwischen Israelis, PLO und Jordaniern in der Luft liege. Denn daß Abu Omar, wie Arafat mit Kampfnamen genannt wird, wertlose Sanddünen kaufe, sei ausgeschlossen. „Geschäftlich hat sich der noch nie verrechnet.“

Sie würden schon zu lange in einer „beschissenen Isolation“ leben, meint Butros vom Sankt-Markus-Shop. Vor dem Laden weht eine palästinensische Flagge. Neben dem Standardsortiment führt der palästinensische Christ auch noch Wasser aus Bethlehem und Oil and Flowers aus dem Heiligen Land. Nicht zufällig sei ausgerechnet die Via Dolorosa, der Weg des Leidens, eine palästinensische Hochburg. „Nur sind wir noch öfter als Issa Ben Myriam gestürzt. Und es ist Zeit, daß wir endlich aufstehen. Zeit, daß es endlich Frieden gibt.“ Issa Ben Myriam ist der arabische Name für Jesus, Sohn Marias.

Gruppen von Kindern und Jugendlichen ziehen durch die Via Dolorosa. Sie winken und wedeln begeistert mit palästinensischen Flaggen: viele selbstgemalt, manche provisorisch aus T-Shirts zusammengenäht. Bis vor kurzem war das Tragen oder Hissen der palästinensischen Nationalfarben eine Straftat. Und nun kennen die palästinensischen Schneider seit Tagen nur noch einen Auftrag: schwarze, grüne, weiße und rote Stoffballen zu Fahnen zu vernähen.

Die Kids und Teenis gehen Richtung Orienthaus. Dort soll die Washingtoner Unterzeichnung live übertragen werden. Eine Gruppe palästinensischer Pfadfinder schließt sich an. Als einzige dürfen sie Uniformen tragen. Ihre Trommeln hallen zwischen den Gebäuden. Der Gleichschritt aber will in der engen, abschüssigen Gasse nicht so recht klappen. An jeder Kreuzung wächst die Menge der Kids. Manche tragen frische Palmwedel. Andere vergrößerte Fotokopien von Arafat.

Riesige Stoffbahnen in den palästinensischen Farben verhüllen das Orienthaus. Es sieht aus wie eine Mischung aus gigantischem Nationalaltar und Verpackungsinstallation von Christo. Hunderte von fahnenschwingenden, meist jungen Palästinensern stauen sich davor. Mutige haben die Fassade erklettert, hängen Flaggen in die kühle Jerusalemer Brise. Die Pfadfinder intonieren die palästinensische Hymne: „Baladi, Baladi!... Watani, Watani!... – Mein Land, mein Land! ... Meine Heimat, meine Heimat! ...“ Ein Fünfjähriger gibt mit einem Taktstock – in den Nationalfarben und größer als der Dirigent – den Rhythmus vor.

Die Übertragung beginnt. In einem Café neben dem Orienthaus läuft der Fernseher: israelisches TV, erstes Programm. Kommentator im Studio: David Levy, Ex-Außenminister des rechtskonservativen Likudblocks. Der israelische Soldat vor dem Café will nichts zum Abkommen sagen. Im Dienst habe er keine Meinung. „Frag mich doch später!“

Im Studio stellt Levy, der angeblich stundenlang vor dem Spiegel Mimik und Gestik von Menachem Begin üben soll, die entscheidende Frage: Wird Arafat mit oder ohne Pistole erscheinen? Das Zeremoniell zieht sich. Doch dann erscheint nach Regierungschef Rabin und zusammen mit Außenminister Peres auch Arafat. Ohne Pistole, aber im Military-Look und mit Kuffiya. Und selbstverständlich unrasiert. Levy kommentiert: „Bekannte Bilder, alte Szenen.“ Arafat gebe Versprechungen. „Aber das kennen wir ja.“ Nachdenklich schaut Levi auf die Live- Bilder aus Ost-Jerusalem, auf die Fahnen, auf die trommelnden Boy Scouts. „Wir gehen einen gefährlichen Weg: den der Libanonisierung.“ Die Dokumente werden unterzeichnet: „Peace, Shalom, Salam.“ In Ost-Jerusalem tanzen die Menschen. Dann werden Bilder aus Gaza, den syrischen und jordanischen Palästinenserlagern eingeblendet. Auch dort sind die Menschen auf den Straßen. Auch dort tragen sie Fahnen. Und auch dort rufen sie Arafats Namen. Doch die Fahnen sind schwarz. Und die Rufe lauten: „Arafat, Verräter!“