: Klassenziel nicht erreicht
Umweltschützer demontieren zum 50. Geburtstag die Mär vom Öko-Politiker Lafontaine / Das Saarland trägt ökologisch die rote Laterne ■ Von Frank Thewes
Saarbrücken (taz) – Der saarländische Umweltminister Jo Leinen ist äußerst besorgt und sieht ernste Gefahren für die Demokratie. In einem Leserbrief an die Lokalzeitung grämt sich Leinen dabei nicht über die Umweltpolitik, sondern über die „Krisen- und Katastrophenberichterstattung“ der Medien. Unter dem Motto: „Es geht auch anders“ empfiehlt der SPD-Politiker den Journalisten, „mehr über positive Ereignisse zu berichten“.
Darauf muß der Minister in seinem eigenen Verantwortungsbereich vorerst verzichten. In den nächsten Tagen erhalten Leinen und sein Ministerpräsident Oskar Lafontaine („ökologischer Umbau der Industriegesellschaft“) eine „Blaue Mappe zur Lage der Umwelt im Saarland“. Darin stellt der Naturschutzbund Saar (NABU) dem seit 1985 regierenden SPD- Kabinett ein mehr als blamables Zeugnis aus. „Das Saarland“, so das Fazit des größten einheimischen Umweltverbandes, „hat im Reigen aller – auch der neuen Bundesländer – die rote Laterne übernommen.“ Gemessen am propagierten ökologischen Umbau der Industriegesellschaft habe die Landesregierung „das Klassenziel schlicht nicht erreicht“.
So erschöpfe sich der amtliche Naturschutz („Note mangelhaft“) in der Ausweisung neuer Schutzgebiete. Gleichzeitig würden aber wertvolle Lebensräume „in schamloser Weise“ für angeblich fehlende Gewerbegebiete geopfert. Die Naturschutzbeauftragten fühlten sich von den Behörden übergangen und „in hohem Maße frustriert“. Und das zwölf Millionen Markt teure „Ökologiezentrum Imsbach“ halten die NABU-Kritiker wie auch der Landesrechnungshof für „eine peinliche und skandalöse Diskrepanz zwischen Aufwand und Ergebnis“.
„Eine glatte Fünf“ erteilt der Naturschutzbund auch der Abfallpolitik des Landes. So hatte das Saarland als erstes Bundesland den Handel von der Rücknahmepflicht für Verpackungen befreit und seine Bürger dem Dualen System ausgeliefert. Rätselhaft sei, auf welcher Datengrundlage Umweltminister Leinen diese Freistellung erteilt habe. Fehle der Landesregierung doch nach acht Jahren Amtszeit immer noch ein Konzept zur Abfallwirtschaft. Statt dessen soll im Saarland die Müllverbrennung weiter ausgebaut werden. Das sei nicht nur ökologisch bedenklich, sondern auch unverhältnismäßig teuer.
Ebenfalls mit „mangelhaft“ bewertet der NABU die Verkehrspolitik der Landesregierung: „Sie ist im Saarland fast ausschließlich Straßenbaupolitik.“ Dafür zeichnet Umweltminister Leinen persönlich verantwortlich. Der Straßenbau fällt an der Saar anders als in den meisten Bundesländern in die Kompetenz des Umweltministeriums. Der öffentliche Personennahverkehr bleibt dagegen ein Stiefkind des Wirtschaftsministeriums. So ist die Einführung eines Semestertickets für Studenten, inzwischen Usus in vielen Uni-Städten, im Saarland am Widerstand der SPD-Regierung gescheitert.
Besonders bitter: Gerade dort, wo das Saarland einst bundesweiten Vorbildcharakter hatte, verzeichnen die Naturschützer totale Einbrüche – in der Energiepolitik und der Forstwirtschaft. Dem dafür zuständigen Wirtschaftsminister Reinhold Kopp werfen die Naturschützer vor, alle ökologischen Reformen seines bis 1991 amtierenden Vorgängers Hajo Hoffmann einer (erfolglosen) „Ansiedlungspolitik um jeden Preis geopfert“ zu haben. So würden Programme zur Förderung alternativer Energien nur halbherzig fortgeführt und zudem durch den Plan eines riesigen Kohlekraftwerkes „konterkariert“.
Besonders kraß ist die Trendwende in der Forstwirtschaft. Hier hatte das Saarland das Konzept einer naturnahen Waldwirtschaft verfochten. Doch die von Minister Hoffmann erstmals für ein gesamtes Bundesland eingeläutete Forstwirtschaft ohne Kahlschlag und Chemie gibt es laut NABU-Analyse inzwischen nur noch auf dem Papier. Hoffmanns Nachfolger Kopp schob den bundesweit renommierten Landesforstchef Wilhelm Bode auf den völlig kompetenzlosen Posten eines Klimaschutzbeauftragten ab. Der hat unterdessen seine Öko-Bilanz gezogen: Vor wenigen Tagen trat Bode im Protest gegen die saarländische Umweltpolitik aus der SPD aus.
Einzig bei der Beseitigung des zuvor angefallenen Abfalls und in der Landwirtschaftspolitik erteilen die Gutachter die Note befriedigend. Doch die Landesregierung ficht die Kritik bislang nicht an, denn noch stimmt die Fassade. Schließlich gibt das Land für die Umwelt-PR 15mal mehr aus als der Durchschnitt aller anderen Bundesländer. Mit dem Geld finanzieren die saarländischen Steuerzahler Broschürentitel wie „Deutschlands Kinder geben dem Saarland die Umweltnote Nummer 1“. Die saarländische Umweltbewegung, so das Fazit der „Blauen Mappe“, sei „von den Machthabern in Stadt und Land nie wirklich ernst genommen worden“. Den angesprochenen Politikern dürfte derzeit nicht gerade der Sinn nach ernsthafter Umweltlektüre stehen: Ministerpräsident Lafontaine feiert heute seinen 50. Geburtstag. Und Umweltminister Leinen, so verriet Gattin Gudrun kürzlich, interessiert sich ohnehin besonders „für die Witzigkeit vieler Kinderbücher“.
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