Antisemitismus wächst

■ Bubis kritisiert Asylkompromiß

Bonn (taz) – „Die immer schlimmer werdende Gewalt ist das, was uns beunruhigt“, sagte Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, gestern anläßlich des Jüdischen Neujahrsfestes des Jahres 5754 in der hessischen Landesvertretung in Bonn.

In seiner Rede vor rund 40 Gästen sprach Bubis vor allem über den Rechtsradikalismus und den Antisemitismus in Deutschland. „Besonders schlimm“, so Bubis, sei der Anstieg rechtsradikaler Gewaltverbrechen nach dem Asylkompromiß. „Es war eine Täuschung der Parteien“, und das habe er schon vorher immer wieder betont, „daß nach der Veränderung des Artikel 16 des Grundgesetzes Ruhe eintreten würde“. Genau das Gegenteil sei geschehen. Die Grundrechtsänderung „war für die Gewalttäter ein Signal“. Bubis hob lobend die Rede des Kanzlers auf dem Parteitag in Berlin hervor. „Die Passage zum Rechtsradikalismus hätte auch von mir sein können.“

Nach statistischen Angaben seien rund 30 Prozent der Bevölkerung antisemitisch, die Hälfte davon manifest. Auch in der christlichen Kirche, vor allem in den unteren Ebenen, gäbe es antisemitische Tendenzen. Bubis referierte einen Brief eines Pfarrers, in dem dieser sich über einen Juden in Mecklenburg-Vorpommern erregte, der 20 Prozent eines von einer Audi-Vertretung gemieteten Grundstücks besitzt. Anstatt das Grundstück zu verkaufen, so der christliche Pfarrer, fordere dieser Jude immer höhere Miete. „Ich lache über solche Briefe“, sagte Bubis, „eigentlich aber ist es bedenklich“.

Im Jahr 1992 gab es 80 Schändungen Jüdischer Friedhöfe. Das seien soviel wie in den Jahren 1926 bis 1931 zusammen. Gewalttätige Übergriffe auf Juden häbe es im letzten Jahr nur einmal gegeben und auch bei dem Fall sei nicht klar, ob die Täter aus antisemitischen Motiven gehandelt hätten. Wir bräuchten uns nicht zu wundern, meinte Bubis, wenn das Ausland auf uns kritischer schaue, als auf andere Länder, selbst wenn es dort mehr ausländerfeindliche Taten gäbe. „Ins damalige Reich ist Hitler gekommen, in andere Länder nicht.“ In dem einen Jahr seit seiner Wahl zum Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland habe er vor rund 100.000 Jugendlichen gesprochen und bestätigt gefunden, daß unter den Jugendlichen der Antisemitismus nicht so verbreitet ist, wie unter den Erwachsenen – „auch wenn die meisten Gewalttaten von Jugendlichen ausgehen“.

Die in Deutschland wieder zunehmende „Tendenz zum Nationalen“ hält Bubis nicht für schädlich, „solange sie nicht in Fremdenfeindlichkeit umkippt“. Bedauerlich nur, daß die rechtsradikalen Parteien dieses Thema für sich beschlagnahmen würden. Julia Albrecht