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Weniger Arbeit bei weniger Lohn?

DGB-Institut für Arbeitszeitverkürzung / IG Metall will Inflationsausgleich  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Die Stimmen, die eine Arbeitszeitverkürzung propagieren, um neue Jobs zu schaffen, mehren sich. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) des Deutschen Gewerkschaftsbundes schlägt jetzt vor, Arbeitszeitverkürzung mit einem nur noch partiellen Lohnausgleich zu fordern. Die Rechnung des WSI: drei Stunden weniger Arbeit pro Woche ergeben 0,9 bis 1,2 Millionen mehr Arbeitsplätze.

Bei nur partiellem Lohnausgleich seien niedrigere Einkommen bei kürzerer Arbeitszeit nicht mehr ausgeschlossen, so die Wissenschaftler. Den geringer Verdienenden müßten befristete, öffentliche Zuschüsse gewährt werden.

Dem Vorschlag des WSI wird innerhalb des DGB jedoch keine Chance eingeräumt. „Politisch nicht durchsetzbar und unpraktikabel“, kommentierte der Referatsleiter Tarifpolitik des DGB, Reinhard Dombre, gegenüber der taz. Eine Arbeitszeitverkürzung, die niedrigere Einkommen zur Folge hätte, sei derzeit bei den Belegschaften nicht zu verwirklichen. Bei einem Einkommen von 3.500 Mark brutto beispielsweise müßten die Beschäftigten bei einer Verkürzung um drei Wochenstunden – rein rechnerisch – mit einer Lohnsenkung um rund 270 Mark rechnen.

In den kommenden Tarifverhandlungen der IG Metall wäre es „nicht im Sinne der Belegschaften, Arbeitszeitverkürzung zum Thema zu machen. Es muß vor allem um den Erhalt der Kaufkraft gehen“, betont auch Dagmar Opuczynski, Sprecherin der IG Metall in Frankfurt. Bei den anstehenden Lohnforderungen für die westdeutsche Metallindustrie will die IG Metall diesmal nur einen Ausgleich für die Inflation und den von ihr geschätzten Produktivitätsfortschritt fordern. Das könnten etwa fünf Prozent Lohnerhöhung sein. Die Arbeitgeber haben sich für eine Nullrunde ausgesprochen. Sie sind strikt gegen eine vorgezogene Arbeitszeitverkürzung.

Im November sollen die konkreten Vorschläge der IG Metall auf dem Tisch liegen. Die Tarifverträge laufen zum 31. Dezember aus. Mit einem Arbeitskampf wäre erst im Januar oder Februar zu rechnen. Reinhard Kiel, Tarifexperte beim Vorstand der IG Metall, sieht die Chancen allerdings realistisch: „Ein Streik, bei dem es nur ums Geld geht, wäre der Öffentlichkeit in der gegenwärtigen Situation moralisch sicher schwer zu verkaufen.“

Neben der Forderung nach einer Lohnerhöhung will die IG Metall mit den Arbeitgebern auch neue „beschäftigungssichernde“ Elemente vereinbaren.In der metallverarbeitenden Industrie wurden im ersten Halbjahr 1993 nach Angaben der IG Metall schon 180.000 Arbeitsplätze abgebaut. Im zweiten Halbjahr wird ein weiterer Verlust von 280.000 Jobs prognostiziert.

Die Gewerkschaft Nahrung- Genuß-Gaststätten (NGG) forderte gestern eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit „in Richtung 35 Stunden“ bei vollem Lohnausgleich.

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