■ Airbus-Unglück in Warschau
: Informationschaos und Spekulationen

Warschau (taz) – Das Sonderflugzeug mit den sterblichen Überresten von General Sikorski, der vor 50 Jahren bei einem Flugzeugabsturz bei Gibraltar ums Leben gekommen war und nun rechtzeitig zum polnischen Wahlkampf von Präsident Walesa nach Warschau umgebettet werden sollte, wollte gerade zur Landung ansetzen, als die Passagiere über die Bordlautsprecher vom Piloten erfuhren, daß man die Landebahn wechseln müsse, da auf der vorgesehenen Bahn ein brennendes Flugzeugwrack liege.

Piotr Wysocki, der zum Pressepool gehörte, sagte später: „Wir landeten ungefähr zehn Minuten nach dem Unglück. Über der Landebahn hing dicker, schwarzer Rauch, der Rumpf der Maschine war nahezu ausgebrannt, nur das hintere Leitwerk war in Takt. Das Wrack war umgeben von mehreren Löschzügen und Krankenwagen. Man konnte erkennen, daß das Flugzeug am Ende der Landebahn auf einen Erdwall geprallt war.“

Die Nachricht von der Flugzeugkatastrophe verbreitete sich in Windeseile in Warschau und erreichte in den Medien ungeahnte Ausmaße: 40 der 64 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder seien ums Leben gekommen, verbreitete die Nachrichtenagentur Reuter kurz danach, ein polnisches Privatradio berichtete unter Berufung auf Feuerwehrleute von verkohlten Leichen im Innern. Der Woiwodschaftsarzt spekulierte öffentlich über mindestens 16 Vermißte, deren Tod man annehmen müsse, der Warschauer Woiwode ließ übers Radio verbreiten, die Blutkonserven der Stadt würden vermutlich für die Opfer ausreichen. Trotzdem meldete sich eine Einheit der polnischen Armee zum freiwilligen Blutspenden.

Die erste Pressekonferenz hielt die deutsche Botschaft am Flughafen zwei Stunden nach dem Unglück ab. Zwei Tote, vermutlich Deutsche, seien zu beklagen, ca. 40 Verletzte, darunter einige Schwerverletzte, kühlte ein Botschaftssprecher die Gemüter. Unter den Leichtverletzten befand sich auch der deutsche Botschafter in Warschau, Franz Bertele, mit seiner Frau, der sich am nächsten Tag bereits wieder zur Arbeit melden wollte, wovon die Ärzte ihm allerdings abrieten. Der Pilot und ein weiblicher Fahrgast seien ums Leben gekommen. Die Frau habe offenbar beim Aufprall des Flugzeugs das Bewußtsein verloren und sich deshalb nicht aus der Reichweite des dann ausbrechenden Feuers retten können.

Die Linienmaschine war um 16 Uhr 15 von Frankfurt aus gestartet und hatte planmäßig kurz vor 18 Uhr zur Landung angesetzt. Einige der Passagiere begannen bereits Beifall zu klatschen, als das Flugzeug, das bereits aufgesetzt hatte, begann, erneut zu beschleunigen. Experten zufolge deutet dies darauf hin, daß der Airbus durch das Gewitter von einem heftigen Rückenwind erfaßt wurde. Da der Pilot nach Angaben von Beamten des Warschauer Kontrollturms nicht zu Anfang der Landebahn, sondern zu Beginn des zweiten Drittels aufgesetzt hatte, verlängerte sich sein Bremsweg auch aufgrund der nassen Oberfläche über die Landebahn hinaus. Dort prallte die Maschine auf einen der den Flughafen umgebenden Erdwälle. Passagiere berichteten später, sie hätten in diesem Moment starken Petroleumgeruch wahrgenommen. Ein Mitglied der Besatzung habe die hintere Klappe geöffnet, ohne jedoch die Rettungsrutschen auszustoßen, worauf die Passagiere in Panik aus dem Flugzeug sprangen. Durch die Öffnung strömte darüber hinaus Luft, was das während des Aufpralls ausgebrochene Feuer noch weiter entzündete. Innerhalb kürzester Zeit brannte die Lufthansa- Maschine so fast komplett aus, nur das hintere Leitwerk blieb verschont.

Bereits als der Airbus zur Landung ansetzte, erkannte ein Beamter der Warschauer Flugleitung, daß sich eine Katastrophe anbahnte, und alarmierte die Flughafenfeuerwehr und die Rettungsmannschaften. Wenige Sekunden nach dem Aufprall waren insgesamt sieben Löschzüge an Ort und Stelle, 23 weitere und insgesamt 31 Ambulanzen aus der Stadt kamen hinzu. Das Feuer konnte innerhalb von 20 Minuten gelöscht werden. Viele der Passagiere konnten Flugzeug und Flughafen aus eigenen Kräften verlassen, die große Zahl der Vermißten kam dadurch zustande, daß einige der nur leicht oder gar nicht Verletzten einfach nach Hause fuhren, ohne sich bei den Behörden zu melden. Noch Stunden nach dem Unglück waren deutsche Botschaft, polnische Behörden und Flughafenleitung damit beschäftigt, die Warschauer Krankenhäuser abzufahren, um die Personalien der Opfer aufzunehmen. Am Mittwoch um zwölf, so kündigte die Lufthansa an, werde eine Sondermaschine die Angehörigen nach Warschau bringen. Nach Angaben der deutschen Botschaft ist nur der Zustand von zwei deutschen Passagieren kritisch.

Kurz nach dem Unglück begann ein Expertenteam, dem Vertreter von Airbus und der Lufthansa angehören, mit der Untersuchung der Unglücksursache. Polens Premierministerin entsandte noch am gleichen Abend eine Sonderkommission der Regierung. Nach Ansicht von Piloten kommt als Unglücksursache Bremsversagen oder Fehlverhalten des Piloten bei der Landung in Frage: Offenbar aufgrund starken Rückenwindes infolge des in Warschau herrschenden Gewitters wurde das Flugzeug beim Landeanflug stark beschleunigt. Passagiere berichten, nach dem Aufsetzen auf die Piste sei der Airbus plötzlich nicht langsamer, sondern schneller geworden und dann die Landebahn entlanggerast. Aufgrund des Rückenwindes setzte die Maschine so nicht am Anfang, sondern am Ende des ersten Drittels der Bahn auf, so daß sich der Bremsweg stark verkürzte. Flughafendirektor Kalita schloß vor der Presse aus, daß Aquaplaning Ursache für die lange Landung gewesen sein könne: „Die Landebahn ist erst vor kurzem ausgebessert worden und entspricht in Beschaffenheit und Beleuchtung allen internationalen Maßstäben.“ Polnische Piloten weisen darauf hin, daß der Airbus-Pilot noch nach dem Aufsetzen die Möglichkeit gehabt hätte, die Maschine erneut hochzuziehen und eine erneute Landung zu versuchen. Mit einem Airbus sei darüber hinaus auch eine gefahrlose Landung auf nur der Hälfte der Warschauer Piste möglich.

Das Ergebnis der Ermittlungen wird in den nächsten Tagen erwartet. Beide „Black Boxes“ der Maschine, in denen alle wesentlichen Informationen über den Flugablauf automatisch gespeichert werden, konnten sichergestellt werden. Klaus Bachmann