Normaler ist schwerer

■ Interview mit Matthias Frings, dem Moderator des Vox-Magazins "liebe sünde"

Nach der Sommerpause startet heute wieder „liebe sünde“, das Vox-Magazin für Sexualität und Erotik. Die taz sprach mit Moderator Matthias Frings. Der 40jährige Journalist hat vorher auch als Radiomoderator und Saal-Talkmaster sowie am Theater gearbeitet. Als Buchautor schrieb er übers Schwulsein, über Pubertät, über männliche Sexualität, Pornographie und Aids.

taz: Sie machen seit einem halben Jahr „liebe sünde“. Von B wie Blowjob bis W wie Wachsspiele ist da doch langsam alles durch, oder nicht?

Matthias Frings: Die Leute denken, Sex, das sind sieben Stellungen, also gibt's sieben Themen. Unsinn. Wir sind ja enorm breit: von der gewissen erotischen Vorliebe für Schuhe über gewisse Gefühle beim Haarewaschen über Kunst und Politik bis hin zu Praktiken. Hinter mir an der Wand in meinem Büro hängt eine Liste, da stehen mindestens 100 Themen drauf – und es kommen ständig welche hinzu. Schauen Sie sich doch die Sprache an – wieviel hat Sprache mit Sexualität zu tun. Was ist die Sexualität der Macht? Kino, Musik, Psychologie.

Aber Bilder für all das zu finden dürfte schwierig sein.

Ja, ganz oft. Man kann ja nicht durchgehend Bilder von sexuellen Aktionen zeigen. Erstens wäre das pur pornographisch. Zweitens: Wo bekäme man diese Bilder her, wenn man wie wir keine Bilder aus Pornofilmen verwenden will. Für Bilder vom Sex muß man erst mal Leute finden – und die haben es meist nicht sehr gerne, wenn eine Kamera zuschaut. Da ist Kreativität gefragt.

Beispiel?

Am schwersten hatten wir es bei einem Beitrag zum Thema Cunnilingus, Küssen untenrum bei Frauen. Da kann man natürlich hingehen und einen Mann zeigen, der bei einer Frau da unten aufs netteste rumschlotzt. Aber das kann man nicht fünf Minuten lang zeigen. Das sieht auch nicht unbedingt schön aus – es bedarf eines gehörigen Aufwandes. Wir haben solche Bilder genommen, zusätzlich aber auch Symbolisches: zum Beispiel, wie einer eine Auster ausschlürft.

Wie findet Ihr Leute, die über ihre Sexualität reden?

Man fängt bei Bekannten an und arbeitet sich langsam vor. Ganz leicht ist es, wenn man sich im Bereich der Perversionen bewegt. Die Leute haben ein Interesse daran, öffentlich zu werden: Guck mal, ich bin kein Monster. Ganz, ganz selten finden Sie Menschen, die über Partnerschaftsprobleme sprechen. Etwa darüber, was in einer Beziehung passiert, wenn die sexuelle Attraktion nachläßt. Je „normaler“ die Praktiken und Probleme, desto schwerer ist es, Leute zu finden.

Was ist das Konzept von „liebe sünde“? VoyeurInnen eine politische Message unterzujubeln?

Es geht nicht ums Unterjubeln. Das Fernsehen hat es zwar so an sich, daß man Bilder zeigt, aber wir versuchen, die Bilder so zu zeigen, daß sie nicht ablösbar sind vom Inhalt. Für Voyeure bieten wir zu wenig. Es geht darum, etwas mitzuteilen – auch mal mit einem zehnminütigen Interview. Die Zuschauerpost und die Quotenverläufe während einer Sendung zeigen uns, daß die Leute auch da dranbleiben.

Nutzt das „liebe sünde“-Team die Sendung für Kampagnen?

Dafür sind wir noch zu jung und sehr wenig Leute. Es gibt Momente, wo wir gerne sehr viel deftiger eingestiegen wären. Zum Beispiel bei der Entscheidung zum Paragraphen 218. Aber da braucht man entsprechende Ressourcen, denn wenn man's macht, muß es solide sein und über mehrere Sendungen laufen, das geht nicht in drei Minuten. Was wir machen sind Specials, etwa eine ganze Sendung zum Welt-Aids-Kongreß.

Wie geht „liebe sünde“ mit Pornographie um?

Wir beschäftigen uns immer wieder mit dem Pornobusiness und versuchen da den Mythos wegzunehmen. Je schwärzer das gezeichnet wird, desto geheimisvoller ist das ja. Nicht Porno an sich ist unmoralisch, sondern die verlogene Umgehensweise damit. Die Leute konsumieren das und stellen sich dann öffentlich hin und distanzieren sich davon oder bekämpfen die Pornographie sogar.

Und was ist mit der Rolle der Frau in diesen Pornos und den Arbeitsbedingungen im Business?

Porno ist auch ein Ausdruck unseres Denkens über sexuelle Verhaltensweisen, auch Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Da trifft man alles wieder: Frauenverachtung, Frauenverniedlichung, Männer als tumbe, rumturnende Toren. Auch das werden wir thematisieren.

Es ist doch ganz bestimmt kein Zufall, daß Sie als schwuler Journalist diese Sendung machen.

Stimmt. Wer beschäftigt sich mit Sexualität? Schauen Sie sich die erste Garde der deutschen Sexualwissenschaft an, schauen Sie sich die erste Garde des Feminismus an. Wer ist das? Das sind Leute, die sich mit sich auseinandersetzen müssen, ergo mit diesen Themen. Andere Leute tun das nicht. Es gibt ja Heterosexuelle, die wissen nicht mal den Namen für ihre Form der Sexualität – nämlich Heterosexualität. Interview: Hans-Hermann Kotte

„liebe sünde“, Vox, 23 Uhr. Die Themen sind heute „Sex in der freien Natur“ und: Wie nennen Mann und Frau diejenigen „Stellen“, die wissenschaftlich unter Penis und Vagina firmieren?