Protokoll einer Premiere

Der Karlsruher SC gewinnt gegen den PSV Eindhoven das erste Europapokalspiel seiner Geschichte und ärgert sich dennoch  ■ Aus Karlsruhe Matthias Kittmann

19:30 Uhr: Stau auf der A5 Richtung Karlsruhe – und noch 50 Kilometer bis zum Wildparkstadion. Der Chronist läßt jegliche Hoffnung fahren, den Anstoß zu erleben.

20.28 Uhr: Derselbe irrt orientierungslos durch den Glaspalast, Haupttribüne genannt (und renoviert für 45 Millionen Mark).

20.30 Uhr: Regenschwaden treiben ins Rund und vermischen sich auf gespenstische Weise mit dem Rauch der roten Nebelbomben aus der Eindhoven-Fanecke.

20.31 Uhr: Anpfiff. Zum ersten Mal in der neunundneunzigjährigen Geschichte bestreitet der Karlsruher SC ein Europapokalspiel. Von La Valetta hatte Präsident Roland Schmider einst geträumt – der PSV Eindhoven ist die traumhafte Realität.

20.36 Uhr: Der KSC legt los wie erwartet – Bender knallt einen Freistoß an die Latte. Stööhnen.

20.42 Uhr: Oliver Kahn rettet auf der Gegenseite gegen Tom van Mol.

20.42 Uhr, 30 Sekunden später: Spitze Schreie auf der Gegengeraden. Nach mißlungener Abseitsfalle steuert Wim Kieft allein auf Kahn zu – wieder hält der Keeper („Ich habe damit gerechnet, daß wir am Anfang hinten Probleme haben“). Eindhoven spielt mit einer Zweier-Abwehrkette und Libero Erwin Koeman davor. Immer wieder rennt sich der KSC darin fest.

20.52 Uhr: Rolff wurschtelt sich links durch und paßt in die Mitte auf Edgar Schmitt („Wenn ich morgens aufstehe, denke ich ans Toreschießen“). Der dreht sich wie weiland Gerd Müller und schiebt die Kugel zwischen Pfosten und van Breukelen ins Tor. 1:0 – 25.000 (mehr ließ die UEFA nicht rein) schreien sich die Kehle aus dem Leib. Trainer Winnie Schäfer („Ich will, daß die Leute auf den Sitzen stehen“) war schon vorher heiser.

20.57 Uhr: Der Kamerawagenschieber von Sat.1 gerät ins Schwitzen. Sergej tanzt mit van Aerle den Kirjakow. Kamera vor, Kamera zurück, Kamera vor, Kamera zurück ...

20.58 Uhr: Nach Verhagen- Flanke hat Eindhovens Meyer nur noch Kahn vor sich. Erst trifft er seine Füße, dann prallt das Leder zu Meyer zurück, um dann doch wieder in Kahns Pranken zu landen („Dafür werde ich bezahlt“).

21.00 Uhr: Bonan über links zu Bender, der in die Mitte zu Kirjakow, Verteidiger Nr. Eins, Verteidiger Nr. Zwei – Tor! Ganz Karlsruhe ist überzeugt: „Wir holen den U-U-EFA-CUP!“

21.04 Uhr: Verhagen hat die KSC-Abwehr überlaufen, den Torhüter umspielt und schießt aus spitzem Winkel dem heranrutschenden Bender ans Knie, der mit den Beinen an den Pfosten knallt. („Beide Schienbeine sind aufgeplatzt wie zu heiß gekochte Würstchen“). Ans Knie? Der portugiesische Schiedsrichter Pinto wird zum italienischen „Punto“ und zeigt auf den Elfmeterpunkt – absichtliches Handspiel – und Bender die rote Karte! Minutenlange Debatten. Schließlich verwandelt Popescu zum 1:2.

21.16 Uhr: Das Spiel wird ruppig. Verhagen grätscht Schmitt von hinten ungeahndet in die Beine, der muß mit einer Aduktorenzerrung vom Platz.

21.20 Uhr: Im VIP-Raum gilt nur die goldene „KSC-Card“. Der Autor nimmt den Fahrstuhl.

21.45 Uhr: Karlsruhe kämpft, aber Eindhoven macht das Spiel über Kieft, Verhagen und Koeman – allein, zwingende Chancen springen dabei nicht heraus.

21.50 Uhr: Wittwers Freistoß zwingt van Breukelen zur ersten Rettungstat der zweiten Halbzeit. Im Gegenzug köpft Kieft Kahn den Ball in die Arme.

21.55 Uhr: Der ran-Mann sammelt die „Spieler des Tages“-Karten ein. Der Berichterstatter ist nicht sicher, ob auch Gästespieler zugelassen sind, schreibt aber trotzdem „Kieft“ drauf.

22.02 Uhr: Die holländischen Kollegen kneten ihre Notebooks. Soll sich der Leser über das Auswärtstor freuen oder über den verpaßten Ausgleich gegen nur zehn Gegner ärgern?

22.10 Uhr: Winnie Schäfer rudert mit den Armen. Schlußoffensive! Oder sollen seine Spieler nur den Ball rausschlagen? Egal.

22.14 Uhr: „Kaa-eS-Ceee ...!“

22.18 Uhr: Letzte Aktion, Freistoß für Karlsruhe. Die Anzeigentafel fordert auf: „Hau nei des Ding!“ Aber vorbei.

22.19 Uhr: Schlußpfiff.

22.31 Uhr: Manfred Bender schimpft: „Der Schiri würde bei uns noch nicht mal Amateurliga pfeifen.“

22.45 Uhr: PSV-Trainer Aad de Mos räumt ein: „Mit dem Elfmeter hatten wir ein Riesenglück.“

22.48 Uhr: Winnie Schäfer gibt sich als geläuterter Paulus: „Zum Schiri sag ich nix. Aber das Rückspiel muß Eindhoven erst mal gewinnen.“

22.57 Uhr (Nachtrag): „Kiki“ Kirjakow kommt aus der Kabine: „Wie hat Dynamo Moskau gespielt?“ Antwort: „0:6 gegen Eintracht Frankfurt.“ Kiki grinst: „Au, Au ... da muß ich wohl nächstes Jahr wieder zurück.“

PSV Eindhoven: van Breukelen - Popescu - Numan, van Aerle - Verhagen (72. Ellerman), Ingesson, Koeman, van Mol - van Ankeren, Kieft, Meijer

Zuschauer: 25.000; Tore: 1:0 Schmitt (21.), 2:0 Kirjakow (29.), 2:1 Popescu (35.)

Rote Karte: Bender (33.) wegen nix

Karlsruher SC: Kahn - Wittwer - Reich, Bilic, Schuster - Schütterle (75. Klinge), Rolff, Bender, Bonan - Kirjakow, Schmitt (45. Schmarow)