Ruanda traut dem Frieden nicht

Nach sechs Wochen Waffenstillstand herrscht im zentralafrikanischen Ruanda Angst vor einer Neuauflage des Bürgerkrieges / Schürt der Staatschef selber neue Gewalt?  ■ Aus Kigali François Misser

„Der Krieg ist vorbei“, meint General Dallaire. Der kanadische Militär berichtete im New Yorker UNO-Hauptquartier über die Entwicklung im zentralafrikanischen Ruanda seit dem am 4. August in Kraft getretenen Waffenstillstand. Er war hingereist, um die Entsendung von UNO-Blauhelmsoldaten als Waffenstillstandsbeobachter vorzubereiten.

Am 4. August hatten Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana und der Führer der aus dem Nachbarstaat Uganda kämpfenden Guerillabewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF), Alexis Kanyarengwe, im tansanischen Arusha ein Friedensabkommen unterzeichnet und damit einen fast drei Jahre alten Krieg beendet. Vorgesehen ist die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit, sobald eine UNO-Beobachtertruppe in Ruanda eingetroffen ist. Gleichzeitig sollen die meisten Soldaten der Regierungsarmee und der Guerilla unter UNO-Überwachung demobilisiert und die verbleibenden Einheiten zu einer nationalen Armee zusammengelegt werden.

Der Optimismus des General Dallaire wird vor Ort nicht geteilt. Die Beobachter der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) haben seit dem 4. August 300 Waffenstillstandsverletzungen gezählt. Die Hauptstadt Kigali selbst bietet kein fröhliches Bild. Während im August die RPF-Rebellen in ihren Stellungen nahe der ugandischen Grenze das Friedensabkommen feierten, blieb die Hauptstadt seltsam bedrückt, obwohl die nächtliche Ausgangssperre aufgehoben worden war. „Die Stadt war wie ausgestorben“, erinnert sich der Generalsekretär der an der Regierung beteiligten „Demokratisch- Republikanischen Bewegung“ (MDR), Donat Murego, und behauptet: „Die Leute haben kein Vertrauen, weil unsere Partei am Abkommen nicht beteiligt war.“

Murego bezieht sich dabei auf den parteiinternen „Putsch“, der den ruandischen Premierminister aus den Reihen der MDR, Dismas Nsengiyaremye, im Juli aus seinem Amt trieb. Zu jener Zeit hatte der damalige MDR-Vorsitzende Faustin Twagirumungu gegen den Willen der Parteiführung den ihm ergebenen Agathe Uwilingiyimana als ruandischen Premierminister vorgeschlagen. Staatspräsident Habyarimana und seine Partei MRNDD stimmten dem zu. Im Friedensabkommen von Arusha wurde daraufhin festgelegt, daß der zukünftige Premierminister der angepeilten Regierung der Nationalen Einheit der MDR angehören soll — und Twagirumungu heißt. Doch vorher, am 23. und 24. Juli, hatte die MDR in einem turbulenten außerordentlichen Parteikongreß Twagirumungu ausgeschlossen. Der MDR-Kongreß war in mehr als einer Hinsicht außerordentlich: Handgranaten wurden geworfen, die verschiedenen Fraktionen lieferten sich Boxkämpfe. Vorsitzender Twagirumungu wandte sich an Staatschef Habyarimana und ließ nicht nur den Kongreß von der Polizei verbieten, sondern erhielt auch die persönliche MRNDD-Parteimiliz des Präsidenten zur eigenen Verfügung. Nichtsdestotrotz fand der Kongreß statt, Twagirumungu und seine Marionette Uwilingiyimana wurden aus der Partei ausgeschlossen.

Das war nicht nur ein beliebiger parteiinterner Hahnenstreit. Die MDR ist eine der wichtigsten politischen Formationen Ruandas; 1991 bei der Einführung des Mehrparteiensystems gegründet, sieht sie sich im Erbe des ersten Präsidenten Ruandas, Gregoire Kayabanda, und seiner Partei „Parmehutu“, die 1959 die Revolution der Hutu-Bevölkerungsmehrheit gegen die zuvor herrschende Tutsi- Elite angeführt hatte. So gilt die MDR auch heute als Hutu-Partei und wird entsprechend argwöhnisch von der RPF-Guerilla beurteilt, die sich vor allem aus den 1959 nach Uganda geflüchteten Tutsis rekrutiert. Dieses Mißtrauen kann instrumentalisiert werden — und das Land in einen neuen Bürgerkrieg stürzen.

Extremisten auf beiden Seiten machen mobil

Das, sagt MDR-Generalsekretär Murego, sei nun auch das Ziel des geschaßten Twagirumungu, der aufrührerische Rhetorik gegen die neue MDR-Führung verbreite und damit bereits Erfolg habe: Der RPF-Radiosender „Radio Muhabura“ rief Mitte August dazu auf, „die Parmehutu-Gruppe zu zerschlagen“. Auf der anderen Seite erweckt dies wiederum die Hutu- Extremisten der Partei CDR (Koalition zur Verteidigung der Republik) zu neuem Leben, die schon immer gegen einen Friedensschluß mit der Guerilla waren. CDR- Sprecher Jean-Bosco Barayagwiza, gleichzeitig politischer Leiter im ruandischen Außenministerium, will jetzt das Abkommen von Arusha kippen, da es „undurchführbar“ sei.

Aufgrund dieser politischen Blockade ist der Termin des 10. September, der eigentlich für die Konstituierung der Regierung der Nationalen Einheit vorgesehen war, sang- und klanglos verstrichen. Um den Frieden noch zu retten, müßte die UNO schnellstmöglich ihre schon vor Monaten versprochenen Militärbeobachter nach Ruanda schicken. Doch es wird lange dauern, bis UNO-Blauhelme ruandischen Boden betreten. Der Sicherheitsrat muß das erst einmal beschließen. Derweil haben die OAU-Beobachter weder das Mandat noch die Mittel, eine Neuauflage der Kämpfe zu verhindern.

MDR-Vizepräsident Nsengiyaremye, der gestürzte Ex-Premierminister, ist nun äußerst pessimistisch. Die jetzige Regierung sei „unglaubwürdig“. Schlimmer noch: Präsident Habyarimana selber bereite einen neuen Krieg vor. Mit Hilfe Twagirumungus wiegele er die Bevölkerung gegen die Guerilla auf. Der Ex-Premier verweist auf Morddrohungen, die er von regimetreuen „terroristischen Banden“ erhalten haben will — den „Akazu“, deren Anstifter im Umkreis des Präsidenten zu suchen sind. Als weiteren Beweis führt er zwei Lastwagen voller Waffen an, die die Armee des Nachbarstaates Zaire an der Grenze zu Ruanda beschlagnahmte und die für den Präsidenten bestimmt gewesen sein sollen.

Desgleichen wurde am 21. August der Ex-Bürgermeister von Kanzenza, Fidele Rwambuka, im eigenen Haus mit zehn Schüssen getötet. Eine staatliche Untersuchung wurde eingeleitet — die nach allgemeiner Meinung wie alle staatlichen Untersuchungen niemals zu einem Ergebnis kommen wird. Mittlerweile wird spekuliert: Rwambuka wurde im März 1992 von einer internationalen Menschenrechtskommission als Verantwortlicher für ein Massaker an 300 Tutsis genannt, und viele meinen, seine einstigen „Akazu“-Auftraggeber in präsidentennahen Kreisen wollten ihn daran hindern, öffentlich auszupacken. Eine andere Theorie: Die Tutsi-Guerilleros der RPF hätten ihn aus Rache erschossen.

Noch andere mysteriöse Vorfälle nähren die Angst. Im Gefängnis von Butare wurden 13 Häftlinge unter ungeklärten Umständen umgebracht, in Kigali erlitten zwei Gefängnisinsassen, die einen MDR-Führer umgebracht haben sollen, das gleiche Schicksal. So war niemand überrascht, als am 5. September eine Bombe in einer Bar der Hauptstadt explodierte und einen Toten sowie vier Verletzte forderte.

Eins ist sicher: Die chronische Unsicherheit verzögert den Friedensprozeß. Die vereinbarte Rückkehr der Flüchtlinge und die Amtseinführung von RPF-Ministern in der Hauptstadt wird noch lange auf sich warten lassen. Irgendwann könnte die Guerilla die Geduld verlieren. Und die „Akazu“-Todesschwadronen werden sich die Hände reiben.